Geistiges Eigentum als Rohstoff der Zukunft

Weiter in der Aufarbeitung der Vergangenheit. Ebenfalls 1999 entstand dieses Fragment zum Thema „Geistiges Eigentum als Rohstoff der Zukunft“. Das war auch damals ein Schlagwort. Hier wurde in einem Fragment der Versuch unternommen, die Begriff in Relation zu setzen. 

Tanker Eigentum. Foto: Hufner
Tanker Eigentum. Foto: Hufner

Die Bedeutung des Eigentumsbegriffs hat sich in der letzten zeit nachhaltig verändert. Denn im Prinzip ist das, was man gemeinhin unter Eigentum im Sinne des Grundgesetzes versteht nicht vermehrbar. Das Eigentum an Grund und Boden, das Eigentum an materiellen Ressourcen ist prinzipiell beschränkt. Hier geht es eigentlich nur um Umverteilung des Bestehenden. Nur die Verwertung des materiellen Eigentums lässt sich verändern. Ob ein Haus als Immobilie so viel oder so viel wert ist, hängt von den Relationen ab, die sich topographisch, demographisch und in vielen anderen Dimensionen bestimmen. Und natürlich spielen politische und gesellschaftliche Bewertungen und Bewegungen dabei eine besondere Rolle.

Was sich eigentlich durch die Jahrtausende hindurch verändert ist die Verwertung des Eigentums und die durch technische Innovationen bedingte Veränderung der Gestalt von Eigentum. Uran war vor der Entdeckung der Kernspaltung eine gewissermaßen normale natürliche Ressource der Erde. Erst durch die technische und erfinderische Erschließung durch wissenschaftliche Arbeit wurde daraus ein neuer Wert. Anderes Beispiel: Der Sand an der Küste der Nordsee war lange Zeit eigentlich wertlos. Erst durch die touristische Erschließung der Region hat er eine neue wertschöpfende Bedeutung. Daß Dinge zu Ressourcen werden und dass sie andererseits an Wert-Bedeutung verlieren, ist keine Eigenschaft der materiellen Rohstoffe, sondern Produkt der geistigen Auseinandersetzung mit den Rohstoffen.

Damit dieser Prozess in Gang kommen kann, dazu bedarf es der Entwicklung und des Aufbaus einer Gruppe, die sich um die Umwertung und Neubewertung, der Erforschung und Erschließung der materiellen Ressourcen annimmt. Diese Funktion hat die Wissenschaft. Auf diese Weise kam die Neuzeit in Gang, die Entstehung des Universitätslebens im 14. Jahrhundert gab den wichtigsten Anstoß hierzu. Wer damals in Wissenschaft investierte, der sicherte sich zugleich die Herrschaft über die Ressourcen und ihr neue Verwendbarkeit.

Damit ist man freilich an einen Bereich geknüpft, der der alten Ökonomie verpflichtet ist. Technologieforschung sichert das materielle Eigentum und die Möglichkeit seiner Verwertung. Momentan spielt diese alte Ökonomie weiterhin ihre Rolle, gerade zum Beispiel in der Energiedebatte. Neben diese Ökonomie setzt sich aber eine andere, die ihre Ressourcen in den Menschen selbst findet.

Die Entstehung des allgemeinen Konsumenten fällt in die Zeit der Entstehung des Bürgertums. Es ist die konsequente Folge des Verwertens materiellen Eigentums. Die globale Entwicklung und Anpassung der Geldwirtschaft spielt dabei eine große Rolle. Als Abstraktionsmittel macht Geld Waren fungibel. Es ist also im Sinne einer kapitalistischen Gesellschaft und Politik, einen Konsumenten zu haben, der Waren produziert und zugleich sich auch aneignen kann. Ein Kapitalismus, der nur ausbeuterisch wäre, würde sich selbst in den Untergang treiben. Auf der schwierigen Ausbalancierung von Angebot und Nachfrage beruht daher wesentlich die kapitalistische Gesellschaftsform. Dass diese Balance nur schwierig zu finden ist, zeigen die Probleme des kapitalistischen Wirtschaftens, wie wir sie täglich und seit Jahren spüren. Und wie so häufig sieht man diese Probleme im eigenen Auge selten, wohl aber bei den konkurrierenden Entwürfen - wie in den USA oder in England.

Das mag eine etwas einfache und simplifizierende Sicht der Dinge sein. Wichtig ist für die Verwertung von Eigentum in jedem Fall das Vorhandensein eines Konsumenten. Und da spielt sich in der letzten Zeit doch einiges ab. Man kann das 20. Jahrhundert – neben den großen politischen Fehlentwicklungen – dadurch gekennzeichnet sehen, dass es zu einer medialen Revolution gekommen ist, die sich neben die der Geschwindigkeitstechnologien (Eisenbahn, Flugzeug, Rakete) gestellt hat. Und ich will mich nicht dazu äußern, inwieweit diese Revolutionen (oder beschleunigten Entwicklungsprozesse) selbst zu den politischen Katastrophen dieses Jahrhunderts beigetragen haben.

Mit der Medialisierung durch Radio und Fernsehen, jetzt auch des Internets, gewinnen immaterielle Dienstleistungen an Bedeutung. Es ist sicherlich kein Zufall, dass ausgerechnet in Zeit der ersten öffentlichen Rundfunkanstalten die erste Verwertungsgesellschaft für Werke der Musik entsteht.

Unter den Begriff des geistigen Eigentums fallen strenggenommen nur „Werke", die substantiell Schöpfungen sind. Schon die Wortwahl des Urhebergesetzes ist bedeutsam: § 7. Urheber. Urheber ist der Schöpfer eines Werkes." Die Bezeichung als „Schöpfer" erinnert an ein beinahe oder vollkommen gottgleiches Wesen im biblischen Sinne. Das heißt eben auch, dass der „Schöpfer" aus dem „Nichts" etwas erschafft. Das unterscheidet ihn beispielsweise vom Erfinder. War die Schutzfrist für den Schöpfer der Welt auf jene sieben Tage der Erschaffung der Welt beschränkt, so multipliziert man diese Frist auf komplexe Art und Weise auf 70 Jahre. Auch das hat eine gewisse religiöse Legitimation. Während die materiellen Ressourcen zwar beschränkt sind, aber eben „da" sind, wird hier etwas hinzugefügt, was vorher nicht da war. Nach diesen siebzig Jahren fällt es den materiellen Ressourcen anheim, die ja prinzipiell auch niemandem gehören. Nur die Verwertung dieses Materials gilt dann als Wirtschaftsgut. Wenn man vom geistigen Eigentum als dem Rohstoff der Zukunft spricht, dann muss man sich dieses Umstands immer bewusst bleiben.

Bei der Erschließung geistigen Eigentums im Sinne des Urheberrechts steht man nun vor einen paradoxen Situation. Es ist nämlich nichts wert. Geistiges Eigentum hat keinen Preis. Erst in dem Moment, da es in die Verwertungskette überführt wird, lässt sich damit wirtschaften. Die individuelle Leistung selbst ist zwar geschützt, aber nichts wert. Um die Preisschilder aufzukleben haben sich freilich Organisationen gefunden wie im musikalischen Bereich die GEMA oder die GVL. Geistiges Eigentum muss man verwerten und verwerten lassen. Mittlerweile haben sich da ganze Berufszweige entwickelt oder konsolidiert. Manager und Juristen sind es eigentlich, die den Rohstoff „geistiges Eigentum" zu Werten veredeln. Es sind dies die wahren Makler geistigen Eigentums. Es entsteht gleichzeitig eine Großindustrie für geistiges Eigentum. Das die Agenten dieser Industrie nur Interesse an der Wertschöpfung aus geistigem Eigentum haben, ist eine Folge des kapitalistischen Wirtschaftens. Ihnen geht es nicht um die Schöpfung von Werten im humanistischen Sinne.

1984 schon hat Oskar Negt unter dem Eindruck der Verkabelung Deutschlands darauf hingewiesen.

„Schon jetzt warten riesige Programme der Kultur- und Bewußtseinsindustrie darauf, die vergrößerten Freizeitbedürfnisse zu kapitalisieren." Es sei langfristig riskant, sagt Negt, sie den „konservativen Freibeutern der Kultur- und Bewußtseinsindustrie, kapitalistischen Produktionsöffentlichkeiten wie Bertelsmann und Springer, den dem demnächst kommenden privaten Fernsehen und dem privaten Rundfunk, den Medienkonzernen der Videoindustrie und allen jenen Unternehmungen, die begierig darauf sind, die Freizeit zu verwerten, Bewußtsein zu kontrollieren und Interessen davon abzuhalten, sich in Emanzipationsbewegungen zu organisieren." (Oskar Negt in „Lebendige Arbeit, enteignete Zeit", Frankfurt 1984, S. 150)

Momentan spielt geistiges Eigentum in den Medien eine bedeutende Rolle: Allerdings in der Form der Unterhaltungsindustrie. Im Bereich der Rock- und Popmusik wird dabei wohl am meisten Rohstoff produziert, dessen Halbwertszeit mittlerweile bei etwas einem halben Jahr liegt, Musicalproduktionen kommen da auf etwas längere Halbwertszeiten. Dies ist in der Tat ein wirtschaftlich bedeutsamer Rohstoff.

Dadurch dass das geistige Eigentum als Rohstoff zu fassen ist, wird es zu einer Ausbeutungsquelle ersten Ranges. Und dieser Rohstoff hat den Vorteil, dass er prinzipiell regenerierbar ist. Doch dazu muss es nicht kommen. Wenn erst einmal die Bewußtseinsindustrie das geistige Kapital in unseren Köpfen schlichtweg trockengelegt hat, dann wird da auch nichts nachwachsen.

Daher werden auch die Ausbeuter und Verwerter über kurz oder lang nicht an einem Prinzip des kapitalistischen Wirtschaftens vorbeikommen: demjenigen nämlich. die Rohstoffe zu regenerieren und die Absatzmärkte zu erhalten. Man kommt wohl nicht umhin, den Begriff des geistigen Eigentums etwas weiter zu fassen. Nämlich auf den des Bildungskapitals und damit verknüpft mit dem des kulturellen Kapitals.

Für diese Bereiche gibt es eigentlich kein Geld- oder wie man ja moderner rechnet: kein Aktienäquivalent. Die Misere rührt von Betrachtungsweise des Wirtschaftens her. Überall, wo man versucht, Rohstoffe oder geistige Leistungen in Geldäquivalenten zu messen, ist es unvermeidbar, dass sich die Auseinandersetzung auch in diesen Dimensionen bewegt. Schon der Gedanke, eine Lehrerplanstelle gegen eine militärische Rakete aufzurechnen, zeugt von dieser kapitalorientieren Ignoranz.

Jetzt wird geistiges Eigentum wirtschaftlich erschlossen, weil dessen immaterielle Substanz ja seinerseits der Stoff einer medialen Übermittlung darstellt. Während im Raumschiff Enterprise Materie „gebeamt" werden kann, kann man dies gegenwärtig nur mit geistigen Eigentum, die sich physischer Materie (Strom, elektromagnetische Wellen etc.) zur Übertragung bedient. Das Radio ist gewissermassen der Beamer geistigen Eigentums. (Und nur nebenbei, wenn man denn schon versucht in die Zukunft zu schauen: Auf dem Raumschiff Enterprise spielt ein Begriff von „geistigem Eigentum" überhaupt keine Rolle – zumal in einer Zeit in der man in Lichtjahren rechnet).

Bibliographische Angaben: 

Fragment aus dem Jahr 1999 aus der alten "Kritischen Masse".

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