Gisèle Freund. Fotoausstellung

"Fotografie ist keine Kunst", sagt eine, die es eigentlich wissen müßte. Gisèle Freund, die aus Berlin stammende, seit 1933 in Paris lebende Fotografin, kam persönlich zur Eröffnung einer Ausstellung, die im Rahmen der diesjährigen Berliner Festwochen stattfindet und deren Thema exemplarisch durch Vita und Oeuvre verkörpert: "Von Frankreich und Deutschland".

Feinsinnige Repoduktion von Haken und Rissen

Im Zentrum stehen Fotografien aus den Jahren 1929, 1932-1935 und 1957-1962. Damit sind historische Entwicklungen mit den persönlichen Etappen über das Thema verknüpft. So sind Freunds Bilder zugleich Zeitbilder, Dokumente, Interpretationen und subkutane Tagebücher. Das wird schon bei der ersten Bildreihe zu den Mai-Kundgebungen in Frankfurt und Worms im Jahre 1932 klar. Daß es sich dabei um die letzte nicht gleichgeschaltete Veranstaltung dieser Art in Deutschland handelte, gibt den Bildern eine Brisanz, die die damals 24-jährige nicht ahnen konnte. Wenngleich man ihre Sympathien für die kommunistische Bewegung auch in der Wahl Ihrer Objekte ansieht, so ist doch das entscheidende inhaltliche Moment, daß Freund eben auch die Fried- und Hoffnungslosigkeit der Abgebildeten dokumentiert. Den Sieg des Nationalsozialismus kann man vielleicht nicht ahnen, die Müdigkeit der Menschen im Kampf gegen ihn nimmt man allerdings sehr deutlich dann wahr, wenn man in die Gesichter der Kinder blickt.

Sicher, Freund hat recht, wenn sie sagt: "Fotografie ist keine Kunst, sondern ein Produkt der Zeit", aber es kommt natürlich darauf an, diesem Produkt eine Sprache zu verleihen. Das machen dann die Pariser Bilder deutlich, die allesamt auf dem "1. Internationalen Schriftsteller-Kongreß zur Verteidigung der Kultur" (1935) aufgenommen wurden. Nicht nur die Tatsache, welche Menschen hier zusammenkamen, sondern auch wie sich ihr Zusammenkommen manifestiert, macht aus diesen Bildern, insbesondere den Serien, kleine Filme, die die Haltungen der Beteiligten eindringlich zur Darstellung bringt: den Schriftsteller André Malraux zum Beispiel, auf der einen Seite wild fuchtelnd, auf der anderen Seite mit der Zigarette im Mundwinkel zugleich Überlegenheit und Machtlosigkeit preisgebend. Wie das die Freund eingefangen hat, das ist nun wieder doch auch große Kunst.

Die späten Bilder aus den Jahren 1957-1962 gelten der Stadt Berlin, jener Stadt, die sie 1933 verlassen mußte, die sie jetzt neu wiederfand. Was sie fand, war ein völlig verändertes Berlin: Eine Stadt die sich einerseits im Stadium der Konsolidierung befand, andererseits im Vollzug ihrer endgültigen Spaltung durch den Mauerbau. Diese Schizophrenie ist letzthin auch ein Gegenstand ihrer Berlin-Bilder (der hohle Pathos der Stalin-Allee, die Leere um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchen-Ruine im Zusammenhang mit dem futuristische Nachtglanz der Kongreßhalle). Aktuell sind auch ihre Kommentare zu den Bildern geblieben, wenn es heißt: "Vier Ost-Mark sind eine West-Mark wert." Gewiß, die Relationen ändern sich, nicht jedoch die Tatsachen. Darum ist der Trennungsprozeß damals ähnlich schmerzhaft wie der Heilungsprozeß in der Gegenwart. Und eben das sind die Fotos von Gisèle Freund auch, feinsinnige Reproduktionen der kleinen Haken und Risse innerhalb, nicht hinter dem Abgebildeten. Daß Freund dies zu leisten vermochte im Genre der Fotografie, macht sie dann wahrhaft zur engagierten Künstlerin, der der schöne Schein nichts taugt.

Bibliographische Angaben: 

Gisèle Freund: Berlin-Frankfurt-Paris. Photographien 1929-1962. 31. August bis 29. September 1997. Festspielgalerie Budapester-Str. 48, täglich 10-18 Uhr

Katalog zur Ausstellung ist im jovis Verlag Berlin erschienen (128 Seiten, etwa 100 Bilder) DM 29,- in der Ausstellung. DM 59,- im Buchhandel.

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