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Quelle:
Jazzzeitung

Jahr 1999
Ausgabe 9
jazzzeitung

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Jazz & Politics

© 1999 by Martin Hufner (EMail)

Hör-, Seh-, Sprech- und Kommunikationsgewohnheiten sind zersplittert wie das gesellschaftliche Gesamtgefüge. Hatte man in den 50er bis 70er Jahren noch im künstlerischen Bereich ohne Schwierigkeiten sich politisch artikulieren können, so haben die 80er bis 90er Jahre diese aktivierende und engagierte Kommunikation in eine unzusammenhängende Vielfalt von individuellen Glücksvorstellungen zergliedert. Jetzt wird alles geduldet insofern es nicht die primitivsten sittlichen Einstellungen der Gesellschaft thematisiert. Diese minimale Sittlichkeit wird allenfalls noch gefasst in den Welten und Worten des Sex-, Spaß- und Pistolenjournalismus.

Blues & Politics heißt eine CD der Mingus Big Band. An und für sich hätte sich die Sache mit dem Titel als allenfalls verdächtig aber irrelevant erledigt. Warum ist dies hier nicht der Fall? Das liegt wohl daran, dass die Texte der Stücke und ihre musikalische Gestaltung selbst nicht veraltet sind. Ihre politische Substanz nährt sich nicht aus den ideologischen Pandorabüchsen der Kadergedanken sondern befasst sich mit den Fragen der Solidarität und der Freiheit. Das galt im Kontext von Mingus’ Leben und das gilt auch heute, aber anders. Da genügt kein Mingus-Replay. Was in die Gegenwart zu retten ist, das kann nur die Haltung als solche sein. Das funktioniert bei der Mingus Big Band weitgehend. Denn musikalisches Verhalten ist zugleich auch ein politisches Verhalten, welches eine mögliche Phraseologie des Textes umgehen kann. Damit wird in diesem Fall die musikalische Substanz zum eigentlichen Träger der politisch-sittlichen Haltung. Das heißt nach einer musikalischen Stimmigkeit zu suchen, die man nicht als gut-geöltes Miteinander verstehen darf. Im Gegenteil, man findet sie besser in internen Kontrasten, musikalischen Verschiebungen und Brechungen. Der Mingus Big Band gelingt es diese Haltung umzusetzen, ohne dass darum ein Patchwork des individuellen Solipsismus entstünde sondern jene Form der solidarischen Freiheit, die Charles Mingus ins Spiel gebracht hat.

Aus dem Jazz hatte sich in den 80er Jahren die politische Substanz weitgehend in den Rap oder in multikulturelle Projekte verabschiedet. Sicherlich mit der problematischen Folge einer Vielfalt der zu verfolgenden Taktiken der musikalischen Agitation, deren bedeutenste Eckpunkte „Public Enemy", „Consolidated" und die „Beatnigs" waren. Das Schicksal der Beatnigs, die in ihrer musikalischen Perspektive und Haltung eine Platte lang ganz vorne war, mochte anzeigen, dass selbst die multikulturelle Perspektive nicht vor internen oder von außen herangetragenden Rassismen frei ist. Spike Lee’s Film „Do the right thing" brachte dies zynisch auf den Punkt. So wenig es verwundert, dass die Rapper von „A Tribe Called Quest" bei der Jazztradition anleihen machen, so wenig wundert, dass sich die Jazz-Poetry eines Sadiq mit dem vielschichtigen musikalischen Kosmos eines Don Byron paaren kann und ihrerseits auch aus dem Rap schöpft. „Nu Blaxploitation" heißt die CD aus dem letzten Jahr. Sadiqs Poetry hat dabei gegenüber dem Rap den Vorteil einer viel spannenderen Modulationsfähigkeit, die damit auch komplexere Texte strukturieren kann. Dazu gehört eine Combo, die sich virtuos durch die musikalischen Genres spielen kann (vom Hörbild in den „Domino Theories bis zum Trauerabgesang in „Dodi"); nicht zitierend sondern provokativ sich hingebend, persiflierend oder ironisch brechend.

Man kann engagierte politische Haltungen nicht popularisieren. Folglich kann man die Populärkultur nicht mit Politik aufladen wie regenerierbare Batterien. Doch wird auch dieser Versuch gelegentlich unternommen. Der Pianist Monty Alexander coverte jüngst Songs von Bob Marley. Seine Worte beschreiben das Dilemma: „Lange habe ich auf eine passende Gelegenheit gewartet ... mit einer Band meiner Brüder aus Jamaika zu spielen – und meinen eigen Jazz-Touch hinzuzugeben." Der Alexander-Touch trifft den Jamaika-Touch und beide berühren sich kaum. Kein überschießender Stromschlag kultureller Durchdringung sondern eine fast rekolonialistische Kontrageste ist hier entstanden. Dass da mehr dring gewesen wäre, wenn man etwas neues daraus gemacht hätte, deutet wenigstens das Solo-Intro zu „No woman, no cry" an. Ansonsten wird den Marley-Stücken die politische Spengkraft ausgesaugt. Die jamaikanische „Ridim Section" ist so perfekt glattgebügelt, dass es weh tut.

Gewiss, das sind kurze Blicke auf drei exponierte Platten aus der letzten Zeit. Es geht nicht darum, Referenzen politischer Aktivität im Jazz zu definieren. Im Jazz so gut wie in jeder anderen Musik geht es um die Substanz musikalischer „Werte". Nur wo die Musik an sich so ausgeprägt und musikalisch differenziert ist (nicht mit komplex gleichzusetzen), dort kommt es regelmäßig es zum ästhetischen Überschuss, der Politik als sinnliches Engagement freisetzen kann.

Martin Hufner

Erwähnte CDs

  • Mingus Big Band, Blues & Politics, Dreyfuss Jazz, FDM 36603-2
  • Don Byron, Nu Blaxploitation, Blue Note 7243 4 93711 2 5
  • Monty Alexander, Stir It Up, The Music Of Bob Marley, Telarc CD-83469