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Auschnitt aus der Rundfunksendung:

"Hier ist Radio Datenbank" von Theo Geißler & Martin Hufner, gesendet auf Bayern2Radio Februar 1997

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Hier ist Radio Datenbank

© 2000 by Martin Hufner (EMail)

Radio Geschichte Aufklärung Aktivität Kritik

Distribution - Kommunikation - Offener Kanal - Bürgerradio etc.
(Auschnitt aus der Rundfunksendung: "Hier ist Radio Datenbank" von Theo Geißler & Martin Hufner, gesendet auf Bayern2Radio Februar 1997 Urfassung des Textes)

Radio on demand, Radio auf Verlangen, heißt das Zauberwort der medialen Zukunft. Jeder soll in die Lage kommen, das zu wählen, was er hören mag. Diese Idee scheint einen genuin demokratischen Ursprung zu haben, da es keine Sendemonople mehr gibt, die die Hörer indoktrinieren könnten. Es gibt keine in dieser Utopie keine festgelegten Sendetermine, nach denen sich ein Hörer richten müßte. Absolute Freiheit der Wahl. Die mediale Landschaft ein grenzenloser Platten- und Informationsladen ohne feste Öffnungszeiten.

Jedoch beruht diese Idealvorstellung auf der Voraussetzung, daß die Hörer so frei sind, genau das zu wählen, was ihren Bedürfnissen genau entspricht, daß auch die Hörer über ihre Bedürfnisse mit sich selbst im Reinen sind. Ob das jedoch der Fall ist, läßt sich begründet bezweifeln.

Der Rundfunk selbst ist ja nur als Bestandteil eines gesellschaftlichen Gesamtkomplexes zu sehen, und ist nur im Verbund mit diesem Ganzen mit den Hörern verknüpft.

Brechts Radiotheorie (Brecht)

Zunächst soll der Frage nachgegangen werden, in welchen Beziehungen Rundfunk und Hörer stehen. Damit berührt man die Frage nach verschiedenen Konstruktionen einer Radiotheorie. Der wohl berühmteste Entwurf einer Radiotheorie stammt von Bertolt Brecht. Er schreibt 1932:

"Der Rundfunk ist von einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar größte Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuschauer Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen."

Was Brecht vom Rundfunk erwartet ist eine doppelte Dienstleistung. Der Rundfunk soll senden und empfangen. Das wäre die technische Utopie. Später hat man diese Sätze häufig in der Weise interpretiert, daß dieser Idee die Vorstellung zugrundeliegt, der Hörer möge selbst zum Programmgestalter werden. das Publikum selbst zum Programmgestalter wird. Der terminus technicus für diese Idee und sein technisches Instrument war und ist der sogenannte "offene Kanal". Daß es aber Brecht nicht darum geht, den Hörer bloß zum Sprecher zu machen ist offensichtig. Denn auf diese Weise wird der Kommunikationszusammenhang gar nicht sustanziell verändert, nur die Personen tauschen die Rollen. Der vormalige Empfänger wird zum neuen Sender, der auf der anderen Seite weiterhin seine passiven Hörer vorfindet.

Deswegen spricht Brecht auch eine inhaltliche Seite an. Es geht ihnm um eine qualitativ bestimmte Kommunikation und nicht allein um eine technische Dimension von Kommunikation. Noch einmal Brecht:

"Der Rundfunk ist von einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar größte Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, (...) den Zuschauer Zuhörer (...) nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen."

Der Rundfunk als Kommunikationsapparat soll den Zuschauer "in Beziehung" setzen. Daß Brecht in diesem Zusammenhang vom Zuschauer und nicht vom Zuhörer spricht mag man zunächst als Lapsus auffassen. Aber dieser Begriff ist ein verdeckter Hinweis darauf, daß Brechts Radiotheorie eigentlich nur eine andere Form seiner Theaterdramaturgie ist. Im Theater hatte er sich auch nicht vorgestellt, daß die Zuschauer auf die Bühne springen, um ihr eigenes Theater aufzuführen. Doch was mag es heißen, jemanden in Beziehung zu setzen, ihn nicht zu isolieren?

Das heißt zunächst einmal etwas ganz Einfaches: Der Rundfunk soll nicht nur anbieten, wie es ein Supermarkt tut, sondern er muß es dahin bringen, daß der Hörer auf eine intelligente Weise aktiviert wird, daß bei ihm Phantasiewerte angeregt werden. Der Hörer soll nicht als braver Konsument gedacht werden, sondern als Widerpart des Autors.

Grundversorgung Kommunikation (Oeller)

Diese Vorstellung untescheidet sich sehr vom Selbstverständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie sie sich in zahlreichen Äußerungen von Programmverantwortlichen finden lassen. Als Beispiel sei hier nur eine Äußerung aus dem Jahr 1971 widergegeben. Der damalige Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunk, Dr. Oeller sagte in einem Interview mit der Zeitschrift "kürbiskern":

"Kommunikation ist öffentlicher Dienst für alle. Dabei ist folgendes zu beachten: Die Gewährleistung von Unterhaltung, Information, Lehrprogrammen. Das ist die Grundversorgung mit Kommunikation. Das verhält sich heute ähnlich wie bei der Versorgung mit Wasser, Strom und Gas. Das sind ganz elementare Bedürfnisse. Und das ist unsere gesellschaftliche Aufgabem von der allein unser Mandat zu bestimmen ist."

Oeller geht davon aus, daß dem Rundfunk die Funktion eines öffentlichen Dienstes zukommt, der Kommunikation anbietet, dem er die Bedeutung eines elementaren Bedürfnisse zuspricht. Doch die Art dessen, was er anbietet, Unterhaltung, Information, Lehrprogramm ist wieder nur ein einziges Sammelsurium von Dienstleistungen, die neben dem Rundfunk und Fernsehen, auch 1971, andere Medien wie Zeitung, Schule, Volkshochschule, Theater und Konzerthalle, ebenso feil bieten konnten. Immerhin bedeuten Oellers Sätze aber auch, daß der Rundfunk nicht als Demagogiemaschine mißbraucht werden dürfe.

Das Doppel-Hörspiel "Staatsbegräbnis 1" und "Staatsbegräbnis 2" von Ludwig Harig führt genau diese Funktion an der Gegenüberstellung der Berichterstattung zweier bedeutender politischer Personen vor. Hören Sie zunächst den Beginn von "Staatsbegräbnis 1" Konrad Adenauer, danach "Staatsbegräbnis 2" Walter Ulbricht

Menschen beweglicher machen (Enzensberger)

Diese beiden Hörbeispiele führen durchaus zum Frage der Radiotheorie zurück. Harig führt in der Gegenübestellung vor, wie sublim noch die "objektive" Berichterstattung eine demagogischen Wirkung entfalten kann. Dadurch, daß Harig den Kontrast nutzt, wird der Hörer in die Lage versetzt, sich in eine distanzierte Position zu plazieren. Eine Reflexion über die Wirkung des Mediums kann einsetzen. Rundfunk als Aufklärung über sich selbst.

In eine ähnliche Richtung weisen die Vorschläge für einen "Baukasten zu einer Theorie der Medien", die Hans Magnus Enzensberger 1970 im "Kursbuch" veröffentlichte. Er nimmt den Brechtschen Gedanken wieder auf. Der Rundfunk soll die Hörer nicht auf die Rolle des passiven Konsumenten festlegen, ihn damit zugleich bevormunden, sondern die Hörer werden von Enzensberger als Individuen aufgefaßt, die das im Rundfunk Gemachte in sich weiterarbeiten lassen – Rundfunk als Mobilisierungsinstanz:

"Wenn ich mobilisieren sage, so meine ich mobilisieren ... das heißt ... die Menschen beweglicher machen als sie sind. Frei wie Tänzer, geistesgegenwärtig wie Fußballspieler, überraschend wie Guerilleros."

Es handelt sich also im wesentlichen um zwei Strömungen in dieser alten Medientheorie. Die einen sehen das Medium als reine Dienstleistung, als Gewähr für solide Informationen, Bildung und Unterhaltung. Die anderen sehen in den Medien ein großes Möglichkeitsfeld zum Eingriff in gesellschaftliche Prozesse. Sie sehen die Medien als Mittel der Emanzipation und Aufklärung.

Offener Kanal - Freie Radios – Medienmonopole

Sozusagen das optimale Mischungsverhältnis aus beiden Phänomenen nehmen die sogenannten "offene Kanäle" oder "freien Radios" für sich in Anspruch. Sie zielen darauf ab, die Zuhörer zum Produzenten zu machen. Der passive Hörer, der bisher nur als Teilnehmer der Medien vor dem Lautsprecher saß, soll seine Position wechseln, selber Produzent werden. Mittlerweile gibt es in Deutschland zahlreiche Sender dieser Art, vor allem dort, wo es die Landesrundfunkgesetze zulassen und fördern.

Ihren Ursprung haben diese "freien Radios" eigentlich in den Protestbewegungen der 70er und frühen 80er Jahren, z.B. beim Widerstand gegen den Bau von Atomkraftwerken. Sie sollten zurückgehaltene Informationen der "großen Radios" und den eigenen Informationsaustausch befördern, d. h. Versammlungen organisieren, aber auch ein Gegeninstrument gegen den nicht-öffentlichen Polizeifunk darstellen. Solche Bewegungen sind naturgemäß sehr stark zweckorientiert und verschwinden mit Anlaß ihrer Existenz. Die freien Radios hatten daher ihre Legitimation in der Verhinderung von Medienmonopolen. Das war zunächst der öffentlich-rechtliche Rundfunk, als Sprachrohr der Staatsräson, später vor allem auch der private kommerzielle Rundfunk und das Fernsehen. War also einst der Springerkonzern der Gegner, so sind es jetzt die Kirch-Gruppe und Bertelsmann mit ihren diversen Subunternehmen.

Bürgerfunk und Regionalisierung - Lebensbezug

Übrig blieb eigentlich eine Art Bürgerfunk, wie er jetzt in ganz Deutschland verbreitet ist. Es entstehen Plattformen der Kommunikation in regionalen Kulturen. Kommunikation heißt hier im Wesentlichen, schnelle Verbreitung von Tagesöffentlichkeit. Der regionale Rundfunk wird so zum Gegenspieler des öffentlich-rechtlichen, übernimmt viel präziser ganz bestimmte Funktionen, die Dr. Oeller als mediale Aufgabe des Rundfunks wahrnahm, die "Grundversorgung mit Kommunikation."

Als neuen Gegenspieler finden sich die "freien Radios" mit dem Privatrundfunk und den "offenen Kanälen" konfrontiert. Der "offene Kanal" ist, anders als der "Bürgerfunk" durch keine vorgelegte Sendestruktur gekennzeichnet. Hier hat quasi jeder die Chance, seine Kreativität, seine Thesen oder seinen Narzißmus darzustellen. Dabei unterscheiden sich beide Produktionsformen, "offener Kanal" und "Freies Radio" im Hinblick auf Selbstverständnis innerhalb der Gesellschaft sehr deutlich, wie ein Beispiel aus der Niedersachsen belegt:

Jüngst kam es in Oldenburg zu einem heftigen Diskussion, ob dort ein Bürgerradio oder ein "offener Kanal" auf Sendung gehen sollte. Die Landesmedienanstalt Niedersachsen entschied sich dann für den "offenen Kanal". Das alternative Stadtmagazin, "Olderburger Stachel", kommentierte das Votum in der Ausgabe 9/95 so:

"Radio Oldenburg brächte als nichtkommerzieller Lokalfunk stündlich tagesaktuelle Nachrichten aus Politik, Gesellschaft und Sport, nähme damit also direkt an Ereignissen und Meinungsbildungsprozessen in dieser Stadt teil.

Ein Offener Kanal kann dieses nicht leisten. Tagesaktuelle Information ist in seinem Konzept nicht vorgesehen. Die Sendebeiträge, die jeder nach Lust und Interessen herstellen und senden lassen kann, werden - bestenfalls nach Sparten sortiert - der Reihe nach gesendet und laufen Gefahr, in der Warteschlange zu veralten. Ein Offener Kanal ist damit unpolitisch und in Augen der Entscheidungsträger angenehmer als ein eher kritisches Radio."

In diesem Fall stehen zwei Bürgerideen von Öffentlichkeit gegeneinander. Die eine, verschrieben der Maxime, alles geht, jeder darf – natürlich immer unter Ausschluß eines wirtschaftlichen Interesses –, auf der anderen Seite jener Dienst, der eine Gegenöffentlichkeit bilden will, gegenüber einer meinungsbildenden Tageszeitung beispielweise, wie in Oldenburg.

Beide Systeme kämpfen ihrerseits wieder gegen die kommerziellen Privatradios, die zumeist technisch besser ausgestattet sind, aber vor allem auch finanziell besser dastehen, weil sie sich durch Werbung finanzieren dürfen. können und müssen. Das hat vor allem für den Sektor der Musik große Konsequenzen. Der private kommerzielle Sender kann so viel einfacher die Gebühren für die Sendung von Musik aufbringen als der nicht-kommerzielle, "freie".

So heißt es in der Satzung des "offenen Kanals" Berlin und Paragraph 9, Urheberrechte:

"Anfallende Gebühren für urheber- und leistungsschutzrechtliche Verwertungsgesellschaften trägt der Sendeverantwortliche. Mit Ablieferung des sendefertigen Beitrags bzw. bei Live-Sendungen unmittelbar nach Beendigung der Sendung hat der Sendeverantwortliche im Offenen Kanal Berlin eine vollständige Liste der verwendeten urheber- und leistungsschutzrechtlich geschützten Werke abzugeben."

Die anfallenden Kosten für die Übertragung von Musik trägt der Sendeverantwortliche, und das ist in der Regel der Produzent der jeweiligen Sendung, nicht eine Sendeanstalt, weil es diese ja gar nicht mehr gibt.

Die Sättigung des Marktes

Nicht zu übersehen ist, daß seit den 70er Jahren die Anzahl der Rundfunksender deutlich zugenommen hat. Der Kanal ist voll. So existiert schon jetzt das Radio Datenbank; nämlich als Summe aller Einzelphänomene. Aber die Situation leidet unter dem Nachteil, daß es kaum noch möglich ist, diese Programmvielfalt, die Vielfalt der Anschauungen sinnvoll zu strukturieren. Neill Postman hat dieses Phänomen in seinem Buch "Wie amüsieren uns zu Tode" präzise dargestellt:

"Wie oft kommt es vor, daß die Information, die ich morgens dem Radio, dem Fernsehen oder der Zeitung entnehme, mich dazu verlanlassen, meine Pläne für den Tag zu ändern oder etwas zu tun, was ich sonst nicht getan hätte, und wie oft helfen mir die diese Informationen zu Einsichten in Probleme, die ich lösen soll? Zum ersten Mal in der Geschichte stehen die Menschen vor dem Problem, daß sie mit Informationen übersättigt sind damit gleichzeitig vor dem Problem, daß sich ihre soziale und politische Handlungsfähigkeit verringert hat."

Ähnlich äußert sich der französische Philosoph Paul Virillio in einem Gespräch mit Sylvére Lothringer:

"Es ist eine unendliche Kakophonie und Übersättigung der Wellen. Man kann nicht gerade sagen, das sei frei."

Ja, hier haben wir wieder die Scheinlösung der demokratisch, pluralistischen Vielfalt, der Vielfalt der politischen Meinungen und ästhetischen Vorstellungen. Und sie alle stehen gleichrangig nebeneinander. Schumis neuer Ferrari neben den Protesten der serbischen Bevölkerung in Belgrad, die neuesten Meldungen über die Arbeitslosenzahlen aus Nürnberg neben dem neuesten Liebhaber von Lady Di, My Fair Lady neben den Spice Girls und Luigi Nonos "Prometeo". Die Fähigkeit, differenziert irgendetwas noch wahrzunehmen wird unterhöhlt, untergraben vom Wellensalat der Kanäle. Das Rauschen der Meinungen und der ästhetischen Vorstellungen führt nicht länger zu qualifizierten Urteilen. "Die pluralistische Welt der Medien gleicht einem elektronischen Stammtisch von planetarischen Dimensionen," nennt dies der Essayist Lothar Baier. Nicht mehr sind es die Tyrannen, die einzelnen Personen und ihr menschlichen Apparate Verlängerungen, die in einer Gesellschaft sich verwirklichen können, die auf demokratischen Grundpositionen aufsitzt. Eine Herrschaft der Beliebigkeit resultiert. Auch dies, um noch einmal auf die Ideen Brechts zurückzukommen, war nicht Ziel der Überlegung, den Rundfunk von einem "Distributionapparat in ein Kommunikationsapparat zu verwandeln." Denn Ziel dieses Kommunikationsbegriffs war es, die Hörer in Beziehung zu setzen.

Radio Datenbank

Es ergeht einem beim Rundfunk wie beim ersten Wandern durchs Internet. Man steht vor den Millionen von Seiten wie ein Mensch, der zum ersten Mal in eine Bibliothek kommt. Weiß man, was man will, so helfen einem Sach- und Autorenregister weiter. Weiß man es nicht, so bleibt alles eine Sache des Zufalls. Programmzeitschriften für den Rundfunk werden immer schmaler. Die einzige Ausnahme ist die Zeitschrift "Dampfradio", die wenigstens alle öffentlich-rechtlichen Stationen des deutschsprachigen Raumes –teils sogar kommentiert – wiedergibt.

Eine Datenbank hat aber vor allem den Zweck, das Angebot sinnvoll strukturiert an den Benutzer weiterzugeben, kurz gesagt, ihm dabei zu helfen, das zu finden, was er sucht. Der Vorzug des Datenbanksystems gegenüber der realen Welt des Rundfunks wäre seine Unabhängigkeit der Zeit gegenüber. Man kann jederzeit sein Programm aus einem bestehenden Angebot herstellen. Der Hörer wird zum eigenen Programmgestalter. Der Vorteil liegt auf der Hand: Man kann gezielt nach Informationen, nach Musik, nach Unterhaltung suchen. Wollte man beispielsweise Mahlers dritte Sinfonie hören, könnte man vielleicht wählen zwischen verschiedenen Dirigenten und Orchestern. All das ist im herkömmlichen System nur möglich, wenn man in einen Plattenladen geht und sich dort die entsprechenden Aufnahmen heraussucht; vorausgesetzt, es gibt einen Plattenladen in der Nähe, der diese Musik überhaupt führt. Mal unabhängig von den technischen Problemen einer solchen Einrichtung, unabhängig von dessen rechtlichen Konsequenzen, unabhängig von seiner Finanzierung, wäre eine solches Radio Datenbank eine Alternative zu Schallplattensammlungen und eine Erleichterung des Zugangs für die Bevölkerung in Gebieten mit schwacher kultureller Infrastruktur. Eine Gefahr für das lebendige Hören in Konzertsaal, Theater wäre dies mit Sicherheit nicht, wie jüngste Untersuchungen zeigen. Vor allem wäre es auch das Ende des Kampfes um Einschaltquoten, die doch sehr deutlich bestimmen, was an welcher Stelle gesendet wird. Ein junges Beispiel: Der Jammer der bayerischen Komponisten, die vom Sendeplatz um 14 Uhr auf Bayern4 ins Nachtprogramm, ab 0 Uhr, des zweiten verlegt wurden. Dies Nicht hatte nur die Veränderung des Zeitpunktes, sondern auch die Veränderung der potentiellen Hörerschar zur Folge; ist doch Bayern4 in Teilen Europas über das Deutsche Satellelitenradio zu empfangen.

Probleme des Datenbankradios

Ein Vorteil des alten Rundfunksystems liegt in seiner Bevormundungsfunktion. Während man sich vielleicht noch ausmalen kann, daß es eine riesige Musikdatenbank gäbe, auf die jeder zugreifen könnte, so könnte doch der Kommentar eines Moderators, der Text eines Booklets, die kritische Auseinandersetzung eines Kritikers mit der Musik nicht mehr zu erfassen. Man würde hinaus katapultiert in die Naivität und Unwissenheit um die Sache. Selbst, wenn man zugesteht, daß derlei Informationen auch anders zu beschaffen sind, zeigt das Beispiel Klassik-Radio, also die weitgehend unkommentierte Darbietung von Musik, die allein zur Berieselung taugt. Und danach ist die Programmgestaltung eingerichtet. Während Sendungen wie Bernd Leukerts "Avantgarderobe" im Hessischen Rundfunk eine mobilisierenden Einfluß ausüben konnten. Daß der traditionelle Rundfunk neben dem Datenbankradio existieren könnte, scheint überaus fraglich. Anlaß zur Hoffnung geben Berichte aus den USA, wo in einer überfüllten Medienwelt sich tatsächlich Inseln eines niveauvollen, qualitätsreichen Rundfunks, mit ihren Hörerklientel etabliert haben. Aber dies wirkt ein wenig schon, als ob man den verheehrenden, entqualifizierten Pluralismus durch die Bildung von separaten Nischen, legitimiert und somit auch auf diese Weise das Bildungsprivileg zementiert.

Ein Radio Datenbank und seine technische Realisation

Der Idee des Datenbank-Radios stehen vor allem gewichtige technische Probleme entgegen. Alles zu jederzeit, an jedem Ort in bester akustischer Qualität empfangen zu können, das wird wohl erst einmal eine Utopie bleiben. Gegenwärtig stehen fünf Empfangsformen zur Verfügung. Empfang über Antenne, über Satellit, über Kabel, und über das Internet. Die unterschiedlichen Übertragungswege unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Übertragungsqualität der Leitungen und dem potentiellen Hörerkreis.

Verfahren Internet
DSR (Digitales Satelliten Radio)
ADR (Astra-Digital-Radio)
DAB (Digital Audio Broadcasting)

Internet

Noch vor kurzem wurde prophezeit, daß der Musikkonsum der Zukunft komplett über das Internet geleitet werden würde. Das Internet besteht ja aus Hunderttausenden von einzelnen miteinander dezentral verknüpften Computern. Auf diese kann weltweit über Telefonleitungen zugegriffen werden. Und in der Tat kann man sich an verschiedenen Stellen des Internets sogenannte Musikdateien herunterladen. Diese werden über Zusatzprogramme eines Computers wieder in akustische Signale, eben die Musik, zurückverwandelt und über Lautsprecher wiedergegeben. Das größte Probleme, mit dem dieses System zu kämpfen hat, ist die Qualität der Übertragung. Während eine digitalisierte Musikdarbietung, wie man sie von der Compact-Disc kennt, eine ungeheuer große Datendichte aufweist. So berechnete der stellvertretende technische Direktor des Westdeutschen Rundfunk, Prof. Dr. Leo Danilenko, daß man, um ein 30 Sekunden langes Musikbeispiel in Stereoqualität herunterzuladen, etwa 6 Minuten benötigen würde – unter der Voraussetzung, daß man ein sehr schnelles Modem oder eine ISDN-Karte besitzt und die Leitungen zwischen den Computern einigermaßen frei wären. Wollte man also Mahles dritte Sinfonie laden, so wäre man damit selbst bei den besten Voraussetzungen vermutlich mindestens einen ganzen Tag beschäftigt. Mal abgesehen davon, daß diese Daten dann auch noch irgendwo beim Nutzer abgelegt werden müßten, bleibt es wohl eine Illusion, in nächster Zukunft das Internet als Radio-Datenbank zu emanzipieren. Gegenwärtig dient das Internet eher als Datenbank der Musikhappen. Kleine Musikbeispieldateien sollen anregen, einen Kauf zu tätigen.

DSR Digitales Satelliten-Radio

Der CD-Qualität kommt ein System am nächsten, das sich Digitales Satelliten-Radio nennt. Es wurde Ende der 70er Jahre entwickelt, ist aber erst seit 1989 in Betrieb. Es wird vom Satelliten Kopernikus abgestrahlt und teilweise in die Kabelnetze der Telekom eingespeist. Das System macht es notwendig, daß 16 Programme zu einem Signal zusammengelegt werden, die der Hörer am mittels eines speziellen Empfängers wieder trennen kann. Theoretisch stünden so insgesamt 64 Programme zur Verfügung. Belegt ist aber nur eine Signalleitung mit 16 Programmen. Das im Prinzip, qualitätsmäßig beste System ist leider mit sehr großen Kosten für die Programmanbieter verknüpft. Ebenso ist es auf der Hörerseite. Empfangsgeräte kosten zwischen 400 bis 1000 DM, ferner ist eine Satellitenempfangsanlage oder ein Kabelanschluß nötig. Aus dem Bereich der Sender, die E-Musik übertragen findet man hier Bayern4, SWF3, Bremen2, Hessen2, NDR3, Deutschland-Funk und WDR3 sowie das Klassik-Radio.

ADR Astra-Digital-Radio

Alternativ dazu wurde vor kurzem das ADR (Astra-Digital-Radio) versuchsweise eingeführt. Hierbei handelt es sich um ein System, das sozusagen Huckepack auf den Fernsehkanälen des Astra-Satelliten unterlegt ist. Mit einem speziellen Empfangsgerät, das ebenfalls um die 400 DM kostet, kann es in Verbindung mit bereits bestehenden Fernsehsatellitenanlagen betrieben werden. Durch ein spezielles Komprimierungsprogramm können hier weit mehr Programme transportiert werden als beim DSR, was natürlich für die Rundfunkanstalten ebenfalls die Kosten minimiert. Von den öffentlich rechtlichen Sendern sind hier vertreten: Insgesamt 25 Programme verteilen sich auf: Fünf Programme des Westdeutschen Rundfunks, vier Programme des Mitteldeutschen Rundfunks, fünf Programme des Bayerischen Rundfunks, vier Programme des Norddeutschen Rundfunks, jeweils zwei Programme des Süddeutschen Rundfunks und des Südwestfunks mit einem gemeinsamen weiteren Programm, Deutschlandfunk und Deutschland Radio Berlin. Daneben gibt es noch einen kostenpflichtigen Pay-Audio-Dienst, der diverse Musiksparten-Programme anbietet. Er wird durch den Kauf eines Decoders freigeschaltet.

DAB Digital Audio Broadcasting

Ein anderes neues System berücksichtigt die Tatsache, daß Radio hauptsächlich satelliten- und kabelunabhängig gehört wird. Vom Radiowecker angefangen bis zum Autoradio. Das Digital Audio Broadcasting System trägt dieser Situation Rechnung. Sämtliche Radiosendungen sollen in hoher Qualität terrestrisch zu empfangen sein, d.h. mit Stab- oder Wurfantenne. Um dies zu erreichen benutzt man wieder ein Datenkomprimierungsprogramm, das dem des ADR-Systems ähnlich ist. So kommt wieder eine Qualität heraus, die derjenigen einer CD nahe kommt. Neben der Tonübertragung können auf einem weiteren Kanal programmübergreifende Informationen übermittelt werden. Das können zum Beispiel Texte sein, die Zusatzinformationen über das jeweilige Programm enthalten (Komponistennamen, Werk, Interpret) oder auch Wetterinformationen etc. Allerdings sind zum Empfang dieser digitalen Sendungen auch neue Empfangsgeräte nötig, über deren Preis noch nichts genaues bekannt ist. Allerdings dürfte er, will man auch hier Radiowecker verkaufen, sehr viel niedriger sein als bei den anderen Sendesystemen. Hierin sieht der stellvertretende technische Direktor des Westdeutschen Rundfunks die Zukunft einer Multimedialen Rundfunksituation, analog zum Videotext der Fernsehsender. Gegenwärtig wird der Betrieb von DAB weltweit vorangetrieben.

Martin Hufner