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Quelle:
neue musikzeitung

Dossier

Jahr 2000
Ausgabe 4
Seite 53-54
nmz-online

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Macht auf die Tür zur schönen Neuen Netzwelt

© 2000 by Martin Hufner (EMail)

Musikalische Internetportale: alles heiße Luft? · Tipps von Martin Hufner

Es ist keine neue Erkenntnis, wenn man feststellt, dass der Umfang des Internets wächst und wächst. Es ist ebenfalls keine neue Erkenntnis, dass dieser Wachstumsprozess zugleich von einem Verengungsprozess begleitet ist. Dieser Verengungsprozess bedeutet, immer mehr Internetnutzer besuchen immer weniger Internetseiten. Dieses Verhalten ist nichts wirklich Neues. Die Entwicklung zum modernen Warenhaus oder dem Supermarkt war ein ähnlicher Prozess. Statt einzeln zum Bäcker, zum Metzger, zum Gemüsehändler, zum Kolonialwarenhändler zu gehen, findet man im Supermarkt alles auf einmal. Nach diesem Prinzip der kurzen Wege funktioniert auch die Idee des sogenannten Internet-Portals: Alles unter einem Dach.

Die großen alten Internetportale haben dabei schon abgewirtschaftet. Sie waren in der Regel mit der Möglichkeit des Internetzugangs gekoppelt. Compuserve, AOL und T-Online sind oder waren in Deutschland die bekanntesten Internetportale. Früher war deren Sortiment sogar so abgestimmt, dass man nicht einmal in das Internet gehen musste. Dann wurde das Internet immer populärer, ganz einfach deshalb, weil dort sehr viel mehr Informationen bereitgestellt wurden. Es ist wie bei einer Berg- und Talfahrt. Mit der zunehmenden Undurchschaubarkeit des Internets wächst offenbar bei vielen Nutzern wieder der Wunsch nach zentralen Anlaufstellen.

Im Musiksektor scheint sich diese Entwicklung ebenfalls immer stärker durchzusetzen. So wirbt „Klassik Online“ (www.klassik.com) als „Ihr Tor zur klassischen Musik im Internet“. Vor kurzem startete „Public Music“ (www.publicmusic.com) mit dem Pressetext: „Public Music – 10 Online-Musikangebote sind Top in der Zielgruppe Jugend & Musik. Musik im Netz – hierfür gibt es mittlerweile eine unüberschaubare Anzahl von Internetseiten. Hierbei den Überblick zu behalten, ist zeitaufwändig und führt oft ins Leere. Public Music sorgt für Abhilfe“. Danke, danke, danke, darauf haben wir alle nur gewartet.

Klassik Online

„Klassik Online“ verspricht eine Art Vollangebot, das von Nachrichten über WebGuides, einen MusicShop bis zu einem Kultur-Stellenmarkt reichen soll, aber selbstverständlich auch die Auflistung von Musikerwitzen nicht verschmäht. In der Tat, eine Rundumwäsche für Klassik-Fans? Das wohl eher nicht. Im WebGuide Musikzeitschriften fehlt komischerweise die neue musikzeitung (wir empfehlen den Guide von www.classical.net), der MusicShop beschränkt sich auf Weiterleitungen zum großen Online-Buch-Versender Amazon. Der CDShop von „Klassik Online“ arbeitet offenbar mit dem Regensburger Versender „Adori“ zusammen. Im Kultur-Stellenmarkt findet sich eine einzige Anzeige (17.3.2000) für einen Praktikumsplatz bei „Klassik Online“ (siehe auch den Cluster, S. 54!). Der Werbeslogan „Tor zur klassischen Musik im Internet“ dürfte damit als einigermaßen übertrieben erscheinen. Damit stellt sich die Frage, wie gut redaktionelle Kompetenz und wirtschaftliches Interesse zusammengehen können, denn richtig Geld für so ein Portal springt nur bei Verweisen auf Amazon-Bücher raus, wenn diese zugleich attraktiv für die Besucher der Seite sind, das heißt wenn dann auch gekauft wird.

Public Music

„Public Music“ vereinigt nach eigener Aussage „10 Online-Musikangebote“, die für die Zielgruppe „Jugend und Musik“ top sein sollen. In Wirklichkeit handelt es sich um eine einfache Seite, auf der Links zu 10 Online-Angeboten dargestellt werden. Das soll eine zentrale Anlaufstelle sein? Das scheint doch weit übertrieben. Fast jeder kleine Homepage-Besitzer mit Ambitionen in diesem Bereich bietet sich als bessere Startseite an. Zwischen den Seiten gibt es bis auf Banneraustausch keine Verknüpfung, die zu komplementären Synergieeffekten führen könnte. Man muss den Anbieter digitallmusic (www.allmusic.de) da allerdings herausnehmen. Zwar ist digitallmusic eigentlich „nur“ eine Datenbank, allerdings finden sich in diesem Netz auch die Homepages des „Arbeitskreises Musik in der Jugend“ oder des „Deutschen Komponisten Interessenverbandes“.

Heiße Luft

Man muss sich da nichts vormachen. Es wird weitaus mehr getönt und verwirrt als geboten. Aber man muss auch fragen, ob sich ein Musikportal im klassischen Musikbereich überhaupt herstellen lässt. Wer sich mit dem dtv-Atlas zur Musikgeschichte befriedigt sieht, der wird sich sicherlich auch mit „Klassik Online“ zufrieden stellen lassen. Wer auf detailliertere Informationen wert legt, der wird sich damit abfinden müssen, dass Informationen ihren Preis haben, den irgendwer bezahlen muss. Die meisten Portale arbeiten daher mit kommerziellen Anbietern wie Buch-, Noten- oder CD-Versendern zusammen. Das hat zwei Vorteile: Erstens bietet man den Nutzern diesen Service an (in Wirklichkeit einen verdeckten Werbevertrag) und zum Zweiten erzielt man daraus einen finanziellen Vorteil. Allen ist geholfen, aber auch dem Internetnutzer? Das scheint eine reine Fiktion zu sein. So wichtig zentrale Anlaufstellen für die Internetkommunikation sind – diese Aufgaben erfüllen Newsgroups und Mailinglisten – so wenig wird man im Internet eine zentrale Anlaufstelle für klassische Musik aufbauen können.

Was noch viel schlimmer ist: Ein Musikangebot scheint offenbar nur dann umfassend zu sein, wenn es eine Einkaufsmöglichkeit mit einschließt. Und irgendwann werden möglicherweise die Shops die wahren Anlaufstellen sein. Noch ist es nicht soweit. In einer Internetstudie der MC Informationssysteme, Target Group/MGM Marketing wird die Informationsbeschaffung (74 Prozent) als häufigste Nutzungsquelle des Internets angegeben. Shopping liegt mit 24 Prozent noch hinter Download (48 Prozent), Zahlungsverkehr (43 Prozent) und Diskussion in Foren (31 Prozent).

Musikinformation seriös

Deshalb muss an dieser Stelle ein Hinweis auf Musikinformationsportale erfolgen: Neben den Verlagen, die teilweise sehr gut über Komponisten Auskunft erteilen (www.ricordi.de, www.baerenreiter.com) stehen die Informationszentren wie das des Deutschen Musikrats (www.miz.org) und das österreichische Pendant www.mica.at. International übergeordnet findet man dann die weiteren nationalen Informationszentren unter www.iamic.ie. Wie man dabei durchaus über die reine Datenbank-Funktion hinausgehen kann, zeigt zum Beispiel „The American Center“ (www.newmusicbox.org), das auch zur Diskussion einlädt. Zum Beispiel zum Thema: „How will the Internet affect the future of music publishing?“ Hier und in kritisch beratenden Informationsquellen werden die zukünftigen Musikportale zu finden sein, es sei denn, man gebe sich in Zukunft mit Werbefernsehen statt authentischer Information ab.

Martin Hufner