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neue musikzeitung

Medien

Jahr 2000
Ausgabe 2
Seite 5
nmz-online

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MP3 – Teufelszeug oder Engelsgesang?

© 2000 by Martin Hufner (EMail)

Wie ein Kompressionsverfahren die Industrie in die Knie zwingt

Der Begriff „Sex“ steht seit letztem Jahr nicht mehr auf Platz 1 eingegebener Begriffe in Suchmaschinen. Er wurde abgelöst durch das kryptische Kürzel mp3, das für den Kompressionsalgorithmus „MPEG 1 Layer 3“ steht. Dieser wurde am Fraunhofer Institut entwickelt, doch mittlerweile gibt es einige weitere Verfahren, die auf eine ähnliche Weise funktionieren. Mit diesem Kompressionsverfahren ist es möglich, Audio-Dateien zum Beispiel auf zehn Prozent ihrer ursprünglichen Größe herunterzurechnen ohne dass es zu nennenswerten Qualitätseinbußen kommt. Im Prinzip kann man sagen, dass eine Minute Musik zehn MB Datenspeicher benötigen. Eine 70-minütige CD käme also auf etwa 700 MB Speicher. Durch die Kompression in das gebräuchlichste mp3-Format (128 kbps, 44 kHz) wird die Datengröße auf etwa 70 MB drastisch reduziert.

Durch MP3-Dateien wurde es erstmals in effizientem Maße für private Nutzer des Internets möglich, Audio-Dateien über das Internet anzubieten und auch aus dem digitalen Netz zu fischen. Damit wurde beinahe über Nacht einer der größten Marktplätze geöffnet. Allerdings handelte es sich nicht um die im Weltwirtschaftsmaßstab gewünschten Vertriebskanäle sondern um Schwarzmärkte. Darum macht dieses Dateiformat gegenwärtig der Musikindustrie sehr zu schaffen. Denn über den ganzen Erdball verstreut finden sich auf diese Weise verbreitete Musikdateien. Nicht selten kommt es sogar vor, dass einzelne Popsongs auf diese Weise vor ihrer eigentlichen Veröffentlichung über das Internet abrufbar sind.

MP3 im Internet

Freilich muss man dazu diese Daten aber erst einmal finden. Das ist nicht ganz einfach. Mittlerweile gibt es zwar einige Suchmaschinen, die speziell auf Sound-Files zugeschnitten sind, und diese spucken auch auf Anfrage einige Server aus, auf denen die Files liegen. Aber von dem Suchergebnis zum runtergeladenen Musikstück ist es noch ein gutes Stück Weg. In der Suchmaschine FileQuest zum Beispiel benötigt man ein eigens geschaffenes Plug-In mit dem Namen Simba und eben Server, die dieses Protokoll unterstützen. Mit diesem Plug-In ist es relativ leicht, Dateien herunterzuladen, wobei folgende Probleme gewöhnlicherweise auftreten: Der Host ist unerreichbar (mit anderen Wort, der Host ist nicht aktiv im Netz) oder das Musikfile ist nicht mehr auf dem Server verfügbar.

Bei meinen Versuchen, auf diese Weise einen Host zu erreichen, waren grob geschätzt 90 Prozent aus den oben genannten Punkten gescheitert. Bei anderen Suchmaschinen setzt man auf ein anderes Internetprotokoll. Das ftp (File-Transfer-Protokoll). Die Probleme beim Auffinden der Dateien verschwinden dadurch keineswegs.

Die oben genannten Wege versprechen viel, halten oft aber wenig. Meist ist dieser Vorgang auch illegal. Darum gibt es sogenannte Musik-Portale, bei denen Musik angeboten wird, die man sich legal herunterladen kann. Zu den bedeutendsten zählen die Anbieter www.listen.com und das in Hamburg beheimatete Loopnet (www.loopnet.de). Beide beinhalten oder verweisen auf Musik, die man als Independent bezeichnen kann. Bei Loopnet finden sich auswahlsweise Stücke von Rocko Schamoni und den Einstürzenden Neubauten, über www.listen.com kommt man zu Künstlern von Ninja-Tune. Loopnet hat zur rechtlichen Absicherung ein immerhin über zweiseitiges Dokument, dem der Künstler zustimmen muss.

Darin erklärt er, dass er der Rechteinhaber ist, aber auch, dass er jederzeit diesen Vertrag kündigen kann, wenn er sich vielleicht über eine Plattenfirma kommerziellen Erfolg erhofft. Gelegentlich sind freies Angebot und Verkauf miteinander verbunden. So zum Beispiel bei www.mp3.com. Zur Problematik dieses Verfahrens schrieb Janko Roettgers in einem Telepolis-Artikel vom 7.10.1999: „Tatsächlich lässt sich bisher mit Musik im Netz nur wenig Geld verdienen. Dies verdeutlichen auch die vor einigen Wochen veröffentlichten Geschäftszahlen von mp3.com: Der Server konnte im August 1999 täglich 400.000 Surfer auf seine Seiten locken. Gleichzeitig wurden im ganzen Monat nur 15.600 CDs verkauft. Bei knapp 27.000 gehosteten Musikern macht dies im Jahresdurchschnitt nicht mal 10 verkaufte CDs pro Musiker.“ ( http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/musik/3436/1.html ) Roettgers weist aber auch darauf hin, dass dies in anderen kleineren Unternehmungen durchaus anders aussehen kann. MP3 kann es möglich machen, Musik außerhalb der üblichen Vertriebstrukturen an die Öffentlichkeit zu bringen – mit einem durchaus akzeptablen Resultat.

Bei aller Angst der Industrie und der Verwerter vor MP3 darf man nicht vergessen, dass es hervorragend dazu geeignet ist, eine unabhängige und subversive Musikdistribution zu vereinfachen. Sicherlich Begriffe, die heute nicht mehr viel gelten oder im postmodernen Sprachsumpf als veraltet und revolutionär-romantisch zur Seite gelegt wurden.

MP3 und CD

Es sei darauf hingewiesen, dass die Musikindustrie selbst und auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk einiges verpennt haben. Gab man sich früher zum Beispiel sehr viel Mühe die DAT-Recorder mit einer digitalen Überspielverhinderungstechnik zu versehen (man kann von dem Originalband nur in die nächste Generation digital kopieren), so ist beispielsweise das digitale Kopieren von CDs in der Regel umstandslos möglich. Ein CD-Brenner ist mittlerweile erheblich billiger als ein DAT-Recorder.

Erst letztes Jahr hat die Telekom in Einverständnis mit diversen Rundfunkanstalten den Digitalen Satelliten Rundfunk aus dem Kabel genommen. Nun werden auch dort komprimierte Dateien immer häufiger zur Zusammenstellung von Musikprogrammen eingesetzt. Das ist zunächst schon deshalb schade, weil ein wirklich innovatives und technisch ungemein fortschrittliches Übertragungsverfahren praktisch abgeschafft wurde. Statt dessen werden jetzt Astra Digital Radio (kurz adr) und Digital Video Broadcasting (kurz: DVB) gefördert. Das ist natürlich nicht ohne Grund geschehen, denn das letzte System lässt sich vor allem auch finanztechnisch sehr gut kontrollieren.

Die Kultur-Lüge

Aber so ist das nunmal. Je höher die Restriktionen von der öffentlichen Seite werden, desto spontaner und kniffreicher werden die Ausweichmanöver der Musik-Piraten. Was sich derzeit im Bereich von Autoren, Produzenten, Verkäufern, Verwertern und Internetprovidern abspielt, ist schon wirklich grotesk. Die Konsumenten, die sich Britney Spears vom Server laden, sind nicht kriminell sondern wollen nur Musik hören und zwar genau die Musik, die die Musikindustrie mit großer Gewalt und mit finanzieller Anstrengung auf dem Markt bringt und schon immer mit dem Argument ihre sehr eigenartige Künstlerförderung organisierte, dass sie die Musik produziere, die die Konsumenten hören wollen.

Linux zum Beispiel

Subversive und zugleich aufklärerische Prozesse laufen ja übrigens neben den Major-Geschichten ab. Wenn man sich mal die gesamte Lizenzpolitik unter dem Betriebsystem Linux anschaut. In der Regel sind dort ja Computerprogramme frei, also so frei, dass etwaige Verbesserungen kund getan werden müssen, um der Linux-Gemeinde wieder zur Verfügung zu stehen. Dieses Prinzip ist an sich sehr viel innovativer als alles, was innerhalb der Windows- und Mac-Welt passiert. Es scheint vor allem wichtig, dass auf diese Weise ein Rechtsbewusstsein ausgebildet werden kann, das nicht als Folge von Verbotsschildern konstruiert ist, sondern das begreiflich macht, dass andere Menschen persönliche geistige Leistungen erbringen, die auch entsprechend gewürdigt werden.

Fairness und Markt

Der Open-Source-Kongress in Berlin 1999 machte vor allem eines deutlich: Die Identität mit der selbst geleisteten Entwicklungsarbeit ist umso größer, je größer das Vertrauen darin ist, dass alle anderen Beteiligten sich genauso fair verhalten. Und dieses solidarische Prinzip fällt sofort weg, wenn professionelle Verwerter diese „freie“ Arbeit für geschäftliche Zwecke nutzen. Diese Entwicklung deutete sich dadurch an, dass einige der sogenannten Linux-Distributoren den Weg an die Börse wagten.

Gegenwärtig sind die Sicherungsstrategien andere: Man versucht die digitalen Daten durch verschiedenste Verfahren zu markieren und ihnen dadurch eine erkennbare Singularität zu verschaffen. Oder man versucht jeden Computer quasi zu einem singulären und erkennbaren Gerät zu machen (zum Beispiel mit Hilfe der Seriennummern in Rechnerprozessoren). Unter dem Mantel der Wahrung und Wahrnehmung von Urheber- und Verwertungsrechten wird auf diese Weise ein komplexes Abhörsystem gebaut, dessen Effizienz allemal unbewiesen ist. So fördert man nicht einen gebildeten und mündigen Umgang mit diesem Medium, sondern entfacht eine Gegenwehr, die nicht besser ist als die Gewalt dieser Wanzologen, die aber notwendig ist, will man nicht das kommunikative Potential des Internets in einem Abwasch mit in den Orkus schicken.

Martin Hufner

Links

Artikel aus ct (Zeitschrift für Computertechnik 31.1.2000)

Eine Ausgabe mit dem Schwerpunktthema mp3 erscheint am 31.1.2000. Es geht um Psychoakustik, Audio-Kompression, Encoder-Test, Hörtest mit HiFi-Profis

  • Zukunftsmusik oder Requiem. Über MP3, SDMI und die Zukunft digitaler Musik

  • Musik im Internet - Folgen für Musiker und Musikindustrie

  • Wohin mit MP3?

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