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Quelle:
Taktlos No. 30 (Juni)
Was ist Jazz?

Sendetermin: 2.6.2000 / 20:05 Bayern2Radio
Website taktlos

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Hören Sie das Beispiel

 

 

Jazz. Vom Coitus zum Larifari

© 2000 by Martin Hufner (EMail)

Musikbeispiel:
Jan Lundgren Trio Solen glimmar blank och trind (kurz, dann unter dem Text lassen)

Sprecher:
Was ist Jazz? Das Handwörterbuch der musikalischen Terminologie gibt Auskunft über die Herkunft des Wortes. Jürgen Hunkemöller schreibt dort: „Jazz: angloamerikanisch-kreolisch (19. Jahrhundert): Koitus, zielgerichtete Kraft, Schnelligkeit, Begeisterung, Raserei"

Musikbeispiel:
Jan Lundgren Trio Solen glimmar blank och trind (kurz aufblenden und wieder unter dem Text abblenden)

Sprecher:
Viel übrig ist von diesem „Koitus", der „zielgerichteten Kraft" und Raserei offenbar nicht. Nicht einmal, nicht zweimal, nein immer wieder wurde dem Jazz das Rückgrat gebrochen indem man ihn zum Entertainment kommerzialisierte. Eine Gegenbewegung war der Bebop, der ganz absichtlich diesen Begriff anstelle des Begriffs des Jazz setzte, war doch „Jazz" in den dreissiger Jahren zu einem breitenwirksamen Spektakel geworden. Der Schwarze oder wie man ihn damals noch abwertend „Nigger" nannte, wurde zu einem Zeremonien-Clown herabgewürdigt. Und so ist es komisch, dass eben der Bebop plötzlich viel mit der etymologischen Bedeutung des Jazz zu tun bekommt als es seine Protagonisten ahnten.

Musikbeispiel:
Dizzy Gillespie, Jumpin’ With Symphony Sid 0:00 bis 0:14 (hart)

Sprecher:
In eine ähnlichen Situation befanden sich die Jazzmusiker auch zu Beginn der 60er Jahre. Der Ausbruch des Jazz damals war eng verknüpft mit der sozialen Bewegung der Schwarzen nach vollständiger Gleichberechtigung. Es entstehen wieder gegen die Etikettierung „Jazz" zum Beispiel Don Cherrys „New York Total Music Company", das „Art Ensemble of Chicago" und in Deutschland zum Beispiel die „Free Music Production" ein Label, das sich dieser Musik verschrieben hatte.

Musikbeispiel:
Albert Ayler, Spirits Rejoice (franz.-Paraphrase) eine strophe

Sprecher:
Let’s play the music, not the background - Free Music: Das war der letzte große Aufschrei im Jazz. Seit der Jazz seine gesellschaftliche Bedeutung verloren hat, seit dem Jazz keine Bürgerrechtsbewegung zur Seite steht (es sei denn die alljährliche nach Mallorca) hat er seine Identität eingebüßt. So ist der größte Teil der Jazzproduktion der Gegenwart einfach belangloses Rumgemurkse, passend aufpoliert zur Kirsche im Cocktailglas, es sei denn es ist ihm gelungen den Sprung zur artifiziellen Kunstform geschafft zu haben oder Pop zu werden. Dass der Jazz gesellschaftsfähig geworden ist, hat er nie verkraftet. Er ist zur Edelhure verkommen: Sex und Raserei sind bestenfalls vorgetäuscht und klinisch rein portioniert, eben einfach nur noch nett oder Blendung.

Musikbeispiel:
Lester Bowie, The Great Pretender, Refrain