19. März 2024 Guten Tag, everybody

Ludwig van Beethoven: Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria op. 91

Quirinus sagte in seinem Beitrag „Roll over Baghdad”, dass “auch Beethoven und andere hehre Herren … Soundtracks zum Krieg geschrieben” hätten. Dabei verweist er auf Beethoven op. 91: Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria. Das ist sicherlich nicht falsch. Aber es ist auch nicht ganz richtig. Ich erinnerte mich, einmal eine Einführung für dieses Stück geschrieben zu haben. 1997 war das für ein Programm der Hamburger Staatsphilharmonie. Ja, die haben das gespielt und es wäre ein Unsinn gewesen, hätte das Programm nicht etwas anderes dazu zu bieten gehabt, um es einzubetten. Davor gabs das „Vorspiel zu den Meistersingern von Nürnberg” von Wagner, danach Hanns Eislers “Deutsche Sinfonie” (1930-1958) — bei Gelegenheit werde ich die entsprechenden Einführungen auch hier veröffentlichen.

Als Kind hat mit diese Komposition Beethoven richtig imponiert. Denn, wie Quirinus sagt, es ist tatsächlich etwas wie Filmmusik, sogar wie Soundtrack; ich würde es heute als musikalischen Comicstrip sehen. Vom kompositorischen Standpunkt her ist das Stück ziemlich langweilig, vielleicht sogar öde — aber patriotisch. Nun musste ich mich damit auseinandersetzen. So etwas kann man schlecht schreiben für ein Programmheft. Statt der Musik ist jedoch die Entstehung und Funktion des Stück, welches man in den Vordergrund stellen sollte.

Zum einen: Es gehört zu einer ganz frühen Sorte von Live-Aid-Stücken, eigens für eine „wohltätige Veranstaltung” zugunsten verwundeter bayerischer und österreichischer Soldaten. Die Uraufführung wurde sensationell empfunden. Der Beethoven-Biograph Paul Bekker benannte den Erfolg mit den Worten: „Einmal im Leben hatte er es verstanden, aktuell zu sein.“ Beethoven war mit einem Schlag populär. Dann gehört zu dem Konzert das Aufgebot aktueller und bekannter sowie beliebter Komponister der Zeit, darunter zum Beispiel Spohr, Schuppanzigh, Romberg, Mayseder und Dragonetti. Salieri dirigierte hinter der Szene, Hummel und Meyerbeer standen an den Pauken, Moscheles war an den Becken und Beethoven selbst dirigierte alles zusammen.

Etwas weiteres ist bemerkenswert: Den Vorschlag für eine solche Komposition machte Johann Nepomuk Mälzel, der eine Schlachtbeschreibung für eine seiner Musikmaschinen, ein Panharmonikum bestellte und den programmatischen Ablauf anhand der Schlacht bei Vittoria entwarf. Auf Anraten Mälzels übertrug Beethoven das Material auf ein Orchester; Mälzel erhoffte sich davon einen guten Werbeeffekt. Eine Hand wäscht die andere, sozusagen. Beethoven war kein schlechter Geschäftsmann, so sehr er uns als wuseliges, unglückliches Genie mit gewisser Duchgeknalltheit auch bekannt ist.

Paul Bekker hat die Sache richtig gesehen. „Einmal im Leben hatte er [Beethoven] es verstanden, aktuell zu sein.“ Das Werk fiel in ein Zeitgefühl hinein. Ein Blick nach vorn op. 90, die wunderschöne Klaviersonate in e-Moll, und nach hinten, op. 92, die 7. Symphonie in A-Dur lässt erahnen, wie viel seiner musikalischen Poetik hier fallen mussten, nur für den Zweck des bloßen Effekts.

Jetzt die Werkeinführung im Detail:

Ludwig van Beethoven: Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria op. 91
Musikalischer Triumph über Napoleon

„Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria“ ist ein Gelegenheitswerk Ludwig van Beethovens. Den Vorschlag für eine solche Komposition machte Johann Nepomuk Mälzel, der eine Schlachtbeschreibung für eine seiner Musikmaschinen, ein Panharmonikum bestellte und den programmatischen Ablauf anhand der Schlacht bei Vittoria entwarf. Auf Anraten Mälzels übertrug Beethoven das Material auf ein Orchester; Mälzel erhoffte sich davon einen guten Werbeeffekt. Am 8. Dezember 1813 schließlich kam es in Wien zur sensationellen Uraufführung des Stückes in einem „wohltätigen“ Konzert zugunsten verwundeter bayerischer und österreichischer Soldaten, bei dem zahlreiche bekannte Musiker mitwirkten, darunter zum Beispiel Spohr, Schuppanzigh, Romberg, Mayseder und Dragonetti. Salieri dirigierte hinter der Szene, Hummel und Meyerbeer standen an den Pauken, Moscheles war an den Becken und Beethoven selbst dirigierte alles zusammen. Der Erfolg der Aufführung muß ungeheuer gewesen sein. Es folgten alsbald weitere Aufführungen. Beethoven konnte seine eigene Kasse erheblich aufbessern und wurde weit über seine bisherigen Kreise hinaus bekannt. Mit Mälzel stritt er sich allerdings noch jahrelang um die Einnahmen aus den Folgekonzerten. Der Beethoven-Biograph Paul Bekker benannte den Erfolg mit den Worten: „Einmal im Leben hatte er es verstanden, aktuell zu sein.“ Beethoven war mit einem Schlag populär. Freilich darf man sich die Frage stellen: zu welchem Preis?

Die Musik selbst bedarf kaum einer Erklärung, denn sie orientiert sich in starkem Maße am direkten Geschehen, welches abgebildet werden soll, heute würde man sagen: wie in einem musikalischen Videoclip. War noch in der sogenannten Pastoral-Symphonie, der sechsten, Programmmusik im Sinne einer poetischen Durchformung gedacht, ist hier die Musik konkret bildlich: Aufstellung zur Schlacht mit zwei Musik-Heeren, die Schlacht selbst und dann die Siegestriumphmusik mit der Verherrlichung der Engländer durch das Spielen der englischen Hymne „Rule Britannia“. Dabei kommt einige Kunstfertigkeit zustande durch den Einsatz von Variationen und einem Abschlussfugato. Dennoch handelt es sich eher um insgesamt grobe Arbeit, der man die Herkunft aus einer Musikmaschine anmerkt.

Diese Musik, in der Napoleon quasi musikalisch besiegt wird, konnte so erfolgreich sein, weil sie die politische Situation zum richtigen Zeitpunkt aufgriff. Die Schlacht bei Vittoria, einem Ort im Königreich Spanien, etwas südlich von Bilbao am Rande der Pyrenäen gelegen, am 21. Juni 1813 markiert dabei nur einen historischen Augenblick der Zurückdrängung Napoleons, die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober stellte den großen Sieg gegen ihn dar. Erst aus diesem politischen Zusammenhang heraus wird der Erfolg der Komposition begreiflich. Napoleon war endgültig zurückgedrängt worden. Der daraus resultierende Hurra-Patriotismus bereitete der günstigen Rezeption dieses Stücks den Boden. Mit dem Abklingen des aktuellen Ereignisses schwand aber auch seine Popularität.

Quelle: Programmheft der Hamburger Staatsphilharmonie