Weber im Zusammenhang (1919/20)

Der Haltungsturner fragt nach dem Zusammenhang eines in der Kritischen Masse notierten Zitats: Ich mag das nicht im Kommentar beantworten, sondern unter einem eigenen Punkt.

Bei dem Text handelt es sich um den Schlussabschnitt aus der Aufsatzsammlung „Die protestantische Ethik“ und hier genauer der erste Aufsatz „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Max Weber ist längst ein „Klassiker“ der modernen Soziologie und entschprechend dick ist die Sekundärliteratur. Damit kann ich mich nicht messen und rezipiert habe ich die abgeleiteten Werk auch nicht, es sei denn, Webers Analyse des Rationalismus ist Bestandteil anderer Werke gewesen — zum Beispiel in Habermas' „Theorie des kommunikativen Handels.“

Im groben Umriss, das macht auch das ausführliche Zitat deutlich, geht es um die Entwicklung des Berufsmenschentum. Askese als eine Grundlage der Möglichkeit zur Entwicklung rationalen Handelns, wie sie sich in Handlungsleitungen im Protestantismus ausgebildet hat. Diese Bewegung, ich paraphrasiere das sehr zugespitzt, machte erst Wissenschaft möglich, die Entwicklung der abendländischen Kunst,
Das musikalische Gehör war bei anderen Völkern anscheinend eher feiner entwickelt als heute bei uns; jedenfalls nicht minder fein. Polyphonie verschiedener Art war weithin über die Erde verbreitet, Zusammenwirken einer Mehrheit von Instrumenten und auch das Diskantieren findet sich anderwärts. Alle unsere rationalen Tonintervalle waren auch anderwärts berechnet und bekannt. Aber rationale harmonische Musik (...) dies alles gab es nur im Okzident.
Max Weber: Vorbemerkung (zu seinen Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie), in: Die protestantische Ethik I, Gütersloh 61981, S. 10.

das Beamtentum, den modernen Staat mit seinen vielfach rational verwobenen Elementen. „Es liegt in unserer Hand, was wir aus der Welt machen“, so simpel würde ich herunterrechnen. Die Elemente des Rationalismus bieten dabei die Möglichkeit zur Kritik und Verbesserung. Wir können über unsere Probleme reden, als Probleme, die wir selbst hervorbringen. Das ist in anderen gesellschaftlichen Entwicklungslinien anders, wo äußere Mächte das Leben für uns bestimmen. (Wie gesagt, alles sehr schematisch verkürzt).

Sieht Weber das von seinem Ursprung her noch als eine Entscheidung [von Subjekten (zu stark), von Personen (naja), von Individuen (das wollen sie ja erst werden); schwierig], so sind wir in diesen Geist hineingeborenen dem einfach ausgesetzt [dem Schein und Selbstschein nach Individuen]. Es gibt keine Möglichkeit zum Abschied vom Rationalismus. Damit wird aber „Rationalismus“ aus ihrer positiven Bestimmung zu einem Verhängnis. Weber nennt dies das „stahlharte Gehäuse [der Hörigkeit]“.

Gleichzeitig diagnostiziert Weber, dass dadurch aber alle Gegenstände der Lebenswelt sich zu „Gütern“ verwandeln. Güter sind handelbar und sind „nur noch“ handelbar. Sie haben keinen Wert für sich, sondern nur im Zusammenhang mit Handlungen. Das ist eine Entwicklung zunehmender Versachlichung.

Was so erstaunlich ist bei Webers Text, ist, dass er sich hier — man möchte fast sagen — zu wissenschaftlicher Prosa hineißen lässt. Einer, der sehr sparsam umgeht mit moralischen Werturteilen, zieht eine in der Tat prophetische Bilanz. Er sieht das auch sofort und federd ab: „Doch wir geraten damit auf das Gebiet der Wert- und Glaubensurteile, mit welchen diese rein historische Darstellung nicht belastet werden soll.“ So ist aber dennoch die Passage typisches Beispiel einer sich entwickelnden Kulturkritik, wie sie später Adorno auf die Spitze getrieben hat, wie sie sich aber auch gerade in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhundert an vielen Stellen äußerte (Jaspers, Gehlen, Amery, Arendt, Russell, Sonnemann, Anders …), vor allem in der Konsequenz, dass in einer „aufgeklärten“ Welt etwas wie der Nationalsozialismus mit seiner rationalen Tötungsmaschinerie und Enthirnung der Subjekte überhaupt sich ereignen konnte.

Man vergisst dies in der heutigen Zeit, wo sich der Kapitalismus immer wieder neu als gesellschaftliches Lösunngsmodell anbietet als alleinseligmachendes gesellschaftliches Prinzip. Marx und Engels hatten diese positive Aura im 19. Jahrhundert heftig kritisiert. Die neuen Kriege am in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ebenso wie die emotional verdrängte Wirtschaftskatastrophe der „schwarzen Tage“ beim New Yorker Börsencrash vor ziemlich genau 75 Jahren sind ebenso Effekte dieser Entwicklung. Auch das nur zur Erinnerung — man vergisst dergleichen gerne und sehr schnell.

Nun aber der wirklich aufregende Text Webers im Zusammenhang:

Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, — wir müssen es sein. Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung zu erbauen, der heute den Lebensstil aller Einzelnen, die in dieses Triebwerk hineingeboren werden –- nicht nur der direkt ökonomischen Erwerbstätigen --, mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist. Nur wie »ein dünner Mantel, den man jederzeit abwerfen könnte«, sollte nach baxters Ansicht die Sorge um die äußeren Güter um die Schultern seiner Heiligen liegen. Aber aus dem Mantel ließ das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden. Indem die Askese die Welt umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen die äußeren Güter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über den Menschen, wie niemals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist — ob endgültig, wer weiß es? — aus diesem Gehäuse entwichen. Der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf, seit er auf mechanischer Grundlage ruht, dieser Stütze nicht mehr. Auch die rosige Stimmung ihrer lachenden Erbin: der Aufklärung, scheint endgültig im Verbleichen, und als ein Gespenst ehemals religiöser Glaubensinhalte geht der Gedanke der »Berufspflicht« in unserm Leben um. Wo die »Berufserfüllung« nicht direkt zu den höchsten geistigen Kulturwerten in Beziehung gesetzt werden kann — oder wo nicht umgekehrt: sie auch subjektiv einfach als ökonomischer Zwang empfunden werden muß --, da verzichtet der Einzelne heute meist auf ihre Ausdeutung überhaupt. Auf dem Gebiet seiner höchsten Entfesselung, in den Vereinigten Staaten, neigt das seines religiös-ethischen Sinnes entkleidete Erwerbsstreben heute dazu, sich mit rein agonalen Leidenschaften zu assoziieren, die ihm nicht selten geradezu den Charakter des Sports aufprägen. Niemand weiß noch, wer künftig in jenem Gehäuse wohnen wird und ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Prophetien oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden, oder aber - wenn keins von beiden — mechanisierte Versteinerung, mit einer Art von klampfhaftem Sich-wichtignehmen verbrämt. Dann allerdings könnte für die »letzten Menschen« dieser Kulturentwicklung das Wort zur Wahrheit werden: »Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben.«*

Doch wir geraten damit auf das Gebiet der Wert- und Glaubensurteile, mit welchen diese rein historische Darstellung nicht belastet werden soll. Die Aufgabe wäre vielmehr: die in der vorstehenden Skizze ja nur angeschnittene Bedeutung des asketischen Rationalismus nun auch für den Inhalt der sozialpolitischen Ethik, also für die Art der Organisation und der Funktionen der sozialen Gemeinschaften vom Konventikel bis zum Staat aufzuzeigen. Alsdann müßte seine Beziehung zu dem humanistischen Rationalismus und dessen Lebensidealen und Kultureinflüssen, femer zur Entwicklung des philosophischen und wissenschaftlichen Empirismus, zu der technischen Entwicklung und zu den geistigen Kulturgütern analysiert werden. Dann endlich wäre sein geschichtliches Werden von den mittelalterlichen Ansätzen einer innerweltlichen Askese an und seine Auflösung in den reinen Utilitarismus historisch und durch die einzelnen Verbreitungsgebiete der asketischen Religiosität hindurch zu verfolgen. Daraus erst könnte sich das Maß der Kulturbedeutung des asketischen Protestantismus im Verhältnis zu anderen plastischen Elementen der modernen Kultur ergeben.
Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: Die protestantische Ethik I, Gütersloh 61981, S. 188 f..

Kommentare

Vielen Dank für den

Vielen Dank für den Zusammenhang. Wäre ich nicht drauf gekommen, obwohl du ahnst, dass ich den Aufsatz durchaus vor Urzeiten gelesen habe. Bestimmt noch mit der klassich-marxistischen Brille, was ihn wahrscheinlich blasser machte als der unverstelltere Blick nun mehr als zehn Jahre später...

Ja, in der Tat, anderes

Ja, in der Tat, anderes hätte mich erstaunt. Was? Der Haltungsturner kennt das nicht, wenn nicht der, wer dann? Webers Gedanken und Analysen aus dieser Zeit sind immer wieder sehr erstaunlich, fein differenziert, unpolemisch eigentlich und dennoch nicht nur soziologisch neutrale Geschichtsanalyse.