19. März 2024 Guten Tag, everybody

Volksfront und Avantgarde – Hanns Eisler: Deutsche Sinfonie

Zum Abschluss der längste Part des Programmhefttextes des Hamburger Konzertes von 1999. Auch hier ein paar Vorbemerkungen. Der Komponist Hanns Eisler hat es nicht leicht gehabt. Zwar war er Schüler Arnold Schönbergs, wie Anton Webern und Alban Berg. Doch im öffentlichen Musikleben hatte er immer gelitten. Seine unbestrittene kompositorische Meisterschaft ist im biographischen Durchlauf vielen Anfeindungen ausgesetzt gewesen. Zu Beginn noch schreibt er stilistisch nahe an Schönbergs und Weberns Kompositionsweise. Doch schon bald wendet er sich gegen Schönberg. Der „Palmström“ ist eine ironische Kritik an Schönbergs Artistik des „Pierrot Lunaire“. Andere Kammermusikwerke weisen bald eine eigenartige Luftigkeit auf. Das „Duo für Violine“ und Violoncello kommt ganz leicht daher und seine „Zeitungsausschnitte“ sind ein letzter Versuch in Liedkunst, die ihren Gegenstand in realer Lyrik sucht. Bald danach kommt er mit Bert Brecht in Berührung und schreibt deutlich politisch motivierte Musik — wendet sich vom bürgerlichen Konzertpublikum ab. Großer Fehler (ironisch gemeint). Für Schönberg war er da gestorben, für den Konzertbetrieb der alten Art auch. Es folgt die Emigration, schließlich nach USA. Arbeit in Hollywood, Forschung zur Filmmusik und Komposition des wunderbaren Hollywood-Liederbuchs. Am Ende landet er vor den McCarthy-Tribunalen und kehrt nach Deutschland zurück. Nach Ost-Deutschland. Dort beteiligt er sich am musikalischen Wiederaufbau mit teilweise doch auch muffigen Stücken, die immerhin doch gut, manchmal auch nur ordentlich komponiert sind. Am Ende dann die „Ernsten Gesänge“ für Bariton und Streichorchester. Das Epigramm Hölderlins zu Beginn erklärt alles: Alles über die Stücke, ihre Gestalt und über die Biographie Eislers: „Viele versuchten umsonst, das Freudigste freudig zu sagen, hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus.“ Die „Ernsten Gesänge“ sind Eislers letztes, ein sehr intimes, ja geradezu irrationales Werk, von dem er sagte:

„Weiß der Teufel, warum ich das geschrieben habe!“

In der DDR der späten 50er und frühen 60er Jahre ist er abgekanzelt. 1961 liest sich das so:

„Ich bin gegen das schlechte Hören und gegen die schlechten Interpreten, und ich bin gegen die schlechten Komponisten, die Dummheiten, Schwulst, Dreck und Schwindeleien in der Musik ausüben. Ich bekämpfe das seit 1918. Heute ist 1961. Ich gebe zu, ich bin besiegt worden“ (Eisler, Fragen Sie mehr über Brecht, Darmstadt/Neuwied, S. 192).

Ein Jahr später zu den Ernsten Gesängen:

„Ich glaube, dass ein junger Mensch in der DDR das dritte Lied, ‚Die Verzweiflung‘, kaum goutieren wird. (…) ‚Die Verzweiflung‘ ist natürlich ein Lied, das in einem sozialistischen Land kaum ein Komponist komponiert haben würde. Vor allem ich –- ein alter Kommunist! — komponiere plötzlich ‚Die Verzweiflung‘! Das mag einen Sinn haben für Leute, die sich in besseren Zeiten um meine Kunst kümmern werden“ (Eisler, Fragen Sie mehr über Brecht, Darmstadt/Neuwied, S. 280). Oder: „Was momentan notwendig ist, weiß ich nicht. Da ich die Oper für schwachsinnig halte –- schon wegen der Sänger, die ja unerträglich sind – und die Symphonien, wie Sie sehen, auch für schwachsinnig halte, gibt es nur etwas, was notwendig wäre: Das Schweigen“ (Eisler/Bunge, S. 284).

Der Westen hatte auch keinen Platz für Eisler, den Komponisten der Nationalhymne der DDR. Hier übte man sich in Avantgarde und wollte so wenig politisch sich platzieren wie möglich; aber wenn, dann als musikalische Avantgarde in der Nachfolge Weberns und Messiaens. Aber da würde ich zu ungenau werden. Eisler saß zwischen den Stühlen oder wurde ins Nebenzimmer geschoben, sehr unbequem und auch nicht freiwillig. Diese ganze Phänomene spiegeln sich bis zu einem gewissen Grad auch in der „Deutschen Sinfonie“.

Hanns Eisler: Deutsche Sinfonie
Volksfront und Avantgarde

Im Gegensatz zu den Werken von Wagner und Beethoven hat die „Deutsche Sinfonie“ von Hanns Eisler die Popularität ihres Schöpfers nicht gesteigert. Dabei hat Eisler gerade hier den Versuch unternommen, avancierte musikalische Techniken mit politischen Interessen zu verbinden, was bei Beethoven und Wagner im Prinzip nur nebenbei beabsichtigt war.

Eislers „Deutsche Sinfonie“ ist ein komplexes Werk zur deutschen Politik und ein Werk des Exils. Ihre Entstehung zieht sich über zweieinhalb Jahrzehnte hin; sie umfaßt die Jahre 1930 bis 1958. Zunächst komponierte Eisler 1930 den dritten Satz, die „Etüde für Orchester“, welche eigentlich für seine I. Suite entstand. 1936 bis 1937 entstanden die Sätze 1, 2, 4, 5, 7, 8. Ende 1939 folgte der sechste Satz, und 1947 wurde der zehnte Satz beendet, beides reine Orchesterstücke. Erst 11 Jahre später wurde die Sinfonie komplettiert durch einen Epilog, den 11. Satz, der aus der Komposition der „Bilder aus einer Kriegsfibel“ stammt. Die Uraufführung fand 1959 an der Deutschen Staatsoper in Berlin (Ost) statt. Danach kam es nicht zu vielen weiteren Aufführungen. In der BRD wurde dieses Werk erst 1983 zum ersten Mal durch das Radio-Symphonie-Orchester Berlin (West) unter der Leitung von Harke de Roos aufgeführt.

Dass das Werk so selten aufgeführt wurde, liegt kaum an einer etwaig unterstellten schlechten kompositorischen Qualität, sondern ist vielmehr ein Resultat des Zweiten Weltkrieges und des anschließenden „Kalten Krieges“ – und ein Resultat des schiefen Selbstverständnisses der Deutschen zu ihrer eigenen Geschichte. Der kürzlich verstorbene Präsident des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, hat dies in einem Stern-Interview so zusammengefasst:

„Im öffentlichen Bewusstsein ist die Verantwortung für Auschwitz nicht verankert. Jeder in Deutschland fühlt sich verantwortlich für Schiller, für Goethe und für Beethoven, aber keiner für Himmler. Ein Großteil der Bevölkerung denkt wie Martin Walser. Ende. Zeit, Schluss zu machen, nur noch nach vorne schauen. Das ist nicht immer böse Absicht, nur sage ich: Ohne den Blick nach hinten geht es nicht.“

Mit der Geschichte sich zu beschäftigen ist ein politisches Verhalten. Dass Eisler dabei auf Ohren stieß, denen jede Courage fehlte, zeichnete sich früh ab, als die „Geschichte“ noch eine „Gegenwart“ war. 1936 reichte Eisler zwei Sätze der Sinfonie zur Aufführung beim 15. Festival der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Paris ein. Die internationale Jury bewertete diese Stücke als die beste eingegangene Komposition und schlug sie zur Aufführung vor. Die Veranstalter befürchteten aber offenbar eine Intervention der deutschen Naziregierung und schlugen vor, die Singstimmen durch Saxophone zu ersetzen. Das lehnte Eisler natürlich ab. Eine ähnliche Erfahrung wiederholte sich 1938 in London. Warum die Aufführung des Werkes in der DDR erst 1959 stattfand, dürfte sich aus einer staatlich verordneten Ästhetik erklären, die man als sozialistischen Realismus proklamierte. In dieses Programm passte die grundlegende Idee Eislers nicht hinein. Für Eisler sollte die „Deutsche Sinfonie“ ein Exempel für die Verbindung von Avantgarde-Kunst und Volksfront darstellen – ein Versuch, die musikalischen Entwicklungen der Schönberg-Schule mit politisch-agitatorischen Aspekten zu koppeln und somit eine Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus zu gestalten. Das ist freilich auch der Grund, warum Eislers Sinfonie im Westen kaum erfolgreich sein konnte: Sie war zu „tendenziös“, wie man das harmlos nennt, und war zudem von einem Kommunisten verfasst, und das hieß seit dem Zweiten Weltkrieg automatisch: „Große Gefahr!“ Dieses Werk war aber auch nicht ausschließlich einer Avantgarde zuzurechnen wie sie sich im Darmstädter Kreis ausbildete und schien deswegen für die künstlerische Avantgarde obsolet. Eisler wollte mit der „Deutschen Sinfonie“ viele erreichen, fiel aber mit diesem Unternehmen in ein Loch der politischen Geschichte Deutschlands.

Wie aber gestaltete Eisler die Verbindung von Avantgarde-Kunst und Volksfront? Der erste Satz, Präludium „Oh Deutschland, bleiche Mutter“, steht hierfür so exemplarisch wie jeder andere der Sinfonie. Dem Stück liegt eine Zwölftonreihe zu Grunde (f-es-ces-ges-e-c-b-cis-d-gis-a-g), die zahlreiche einfache melodische Motive enthält bzw. entfalten kann. Eisler benutzt sie auf genau diese Weise. Das merkt man am einfachsten daran, dass man ohne die Noten kaum auf den Gedanken käme, dass hier mit Zwölftontechnik gearbeitet wird. Die Reihe ist ferner so konstruiert, um eine relativ einfache Singbarkeit des Chores zu gewährleisten. Eisler spricht in diesem Zusammenhang von der Technik der Konsonanzbehandlung in der Zwölftontechnik. Gegen Ende des Stückes werden zwei Zitate in die zwölftönige Konstruktion eingearbeitet: ein Ausschnitt aus der „Internationale“ und ein Ausschnitt aus dem sozialistischen Trauermarsch „Unsterbliche Opfer“. Dabei kommt dem Zitat der „Internationale“ eine doppelte Funktion zu: Es soll gezeigt werden, dass es sich bei der „Deutschen Sinfonie“ nicht um ein nationalistisches Werk handelt – obgleich es ein nationales Werk ist –, und es soll selbstverständlich an die internationale antifaschistische Arbeiterbewegung appellieren. Das Zitat aus dem Trauermarsch „Unsterbliche Opfer“ verweist schon auf den nachfolgenden Satz und bezieht auch die Opfer der Arbeiterbewegung mit ein. Für die musikalische Haltung ist auch die Anweisung zu Beginn der Chorpartie typisch: „sehr einfach, ohne Sentimentalität“ steht dort. So wie die musikalische Gestaltung selbst versucht auch der Text keinesfalls Pathos zu entwickeln, sondern eher sachlich argumentativ zu wirken – keine Vereinnahmung durch Überrumpelung, weder im Text noch in der Musik.

Obwohl nicht überrumpelnd macht der zweite Satz „An die Kämpfer in den Konzentrationslagern“ unterschwellig Andeutungen. Als Passacaglia hat Eisler das Stück aufgefasst, und so hört man im Bass ein Klopfmotiv, welches das B-A-C-H-Motiv zitiert. Damit ist nicht nur ein typisches Merkmal vieler Zwölftonkompositionen Anton Weberns erinnert, sondern ebenso auf Bach selbst verwiesen. Tradition (Passacaglia) und Avantgarde (Weberns Zwölftonreihen) werden zusammengezogen. Es ist von besonderem Witz, dass aber gerade der Passacaglia-Bass aus der restlichen Zwölftonkonstruktion herausgehalten wird. Über das B-A-C-H-Motiv wird eine hörbar palindromartige (vorwärts und rückwärts nahezu identische) Melodie von der Solo-Klarinette gelegt, der eine Zwölftonreihe zu Grunde liegt. Deutschland wird im Brechtschen Text beschworen als ein Land, dessen beste Menschen im Konzentrationslager sich befinden; sie, heißt es bei Brecht, seien die „wahren Führer Deutschlands“.

Der dritte Satz ist überschrieben als „Etüde für Orchester“. Wieder stehen die zwölftontechnischen Verfahrensweisen im Hintergrund. „Etüde“ kann man hier auffassen als ein Problem des Rhythmus und des Klangbildes. Für Eisler muss es reizvoll gewesen sein, den Tonfall einer Agitprop-Kapelle auf ein Sinfonieorchester zu übertragen, im Zusammenhang der Sinfonie und Eislers Vorstellung der Zusammenführung von Avantgarde-Kunst und Volksfront ist es aber auch unmittelbar einsichtig.

Der vierte Satz „Erinnerung (Potsdam)“ beginnt als ein Trauermarsch aus dem Schlußklang des vorangegangenen Satzes. Das der Musik zu Grunde liegende Brechtsche Gedicht fußt auf einer tatsächlichen Begebenheit, als in Potsdam eine Antikriegsdemonstration brutal von der Polizei aufgelöst wurde. Es herrscht der Trauermarschgestus vor, der gelegentlich durch musikalische Ausbrüche sich zugleich in Empörung wie Sarkasmus entlädt („belohnt mit dem Sarge vom Vaterland: Jedem Krieger sein Heim, sein Heim.“). Am Schluss wiederholt sich der trockene Trauermarsch, abgebrochen durch einen harrschen Tutti-Orchester-Polizeieinsatz.

„Sonnenburg“ war ein Konzentrationslager, in dem 1933 414 politische Gefangene eingekerkert waren, darunter Erich Mühsam, Carl von Ossietzky, der KPD-Reichstagsabgeordnete Ernst Schneller und der Strafverteidiger Hans Litten. Im „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ wird es als schlimmstes Konzentrationslager der Nazis bezeichnet, als die „Hölle von Sonnenburg“. Dieser knappe fünfte Satz bewegt sich zwischen Momenten des musikalischen Understatements und einem aggressiven Tonfall, der merkwürdig ambivalent bleibt. Auch der Text Brechts ist bestenfalls kryptisch, wenn nicht gar ungerecht oder zynisch („Wären sie klüger, dann rissen sie aus den Ketten schleunigst den armen Mann und holten den Fetten. Dann hätte in Sonnenburg das Lager einen Nutzen“).

„Intermezzo“ ist der sechste, rein orchestrale Satz überschrieben. Auch hier geht es um eine Verknüpfung von Avantgarde-Kunst und Volksfront im Sinne Eislers. Am Anfang steht ein Bratschen-Solo von hochexpressivem Ausdruck. Es wird überlagert von einer Repetitionsfigur in Flöte und danach Klarinette – ein Ausdrucks-Kontrapunkt, der den ersten Teil kennzeichnet. Der zweite, schnellere Teil formt aus dem vorangegangen einen Marschtypus, der in sich jedoch nicht stimmig ist: Er ist graziös und wird von einer Gegenstimme in den Bässen aufgehoben. Es folgt eine etwas dichtere Reprise des ersten Teils. Diese Charakter-Kontrapunkte passen sehr gut zu einer Haltung, die Eisler in einem fiktiven Gespräch 1937 eingenommen hat. Es heißt dort:

„Die Volksfront braucht den fortschrittlichen Künstler, die fortschrittlichen Künstler brauchen die Volksfront. Die Volksfront verteidigt die künstlerische Freiheit und liefert den Künstlern ehrliche, wahrheitsgemäße Stoffe. Die Künstler brauchen also die Volksfront, damit sie sich an die großen gesellschaftlichen Bewegungen unserer Zeit anschließen und damit sie nicht in die Leere hinein produzieren. Die Volksfront hingegen braucht den fortschrittlichen Künstler, weil es nicht genügt, die Wahrheit zu besitzen, sondern weil es nötig ist, ihr den zeitgemäßesten, präzisesten, farbigsten Ausdruck zu verleihen.“ (in: „Avantgarde-Kunst und Volksfront“)

Es folgen vier längere Sätze: „Begräbnis des Hetzers im Zinnsarg“, eine „Bauernkantate“ (mit den Unterabschnitten „Mißernte“, „Sicherheit“, „Flüstergespräche“ und „Bauernliedchen“), eine „Arbeiterkantate“ mit dem Titel „Das Lied vom Klassenfeind“ sowie abschließend ein „Allegro für Orchester“.

Während die Musik im „Begräbnis des Hetzers im Zinnsarg“ zu Beginn unentschlossen im Ausdruck zwischen Trauermarsch („quasi marcia funebre“) und aufrührerischer Anklage des „Hetzers“ schwankt, macht der anschließende Gesang des Mezzosoprans deutlich, dass dieser „Hetzer“ zum Guten gehetzt hat. Dabei zitiert Eisler beim Wort „Solidarität“ sich selbst aus dem Solidaritätslied, erneut die Arbeit der Volksfront andeutend. Erst danach setzt sich der Trauermarsch durch . (Im Übrigen ist von Brecht bekannt, dass er sich wünschte, in einem Zinksarg begraben zu werden.)

Die „Bauernkantate“ ist im musiksprachlichen Duktus relativ einfach gehalten. In allen Teilen herrscht eine Solo-und-Response-Struktur, ein Frage-und-Antwort-Schema vor. Die „Flüstergespräche“ kann man als inneren Dialog beschreiben, klanglich abgesetzt und treffend im Ausdruck durch die summenden Choristen, bevor sich im „Bauernliedchen“ der Appell über einem Marsch formiert: „Bauer, steh’ auf“.

Die „Arbeiterkantate“ durchmisst in großen Schritten die Ausnutzung der Arbeiterschaft aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg über den Krieg in die Republik bis zur Unterdrückung, Ausbeutung, Verführung und Knebelung unter den Nationalsozialisten. Immer wieder werden die Arbeiter geködert mit Versprechungen, die so wenig gehalten werden können wie die Vorstellung, dass der „Regen von unten nach oben fließt“. Staatssolidarität steht in Opposition gegen die berechtigten Interessen nach Selbstbestimmung durch die Arbeiterschaft. Die Musik durchläuft ebenfalls einen charakteristischen Weg vom einfachen Lied bis hin zum „heroischen“ Marsch („Marschmäßige Viertel – eroico“). Die Haltung des progressiven „Arbeiters“ drückt sich nicht nur in der Entschlossenheit des Schlussappells aus, sondern auch darin, dass seine Argumente „freundlich“ (so die Singanweisung in der Partitur), nicht überredend, sondern überzeugend gesungen werden sollen. Damit wird das Stück zu einem Kernstück der Sinfonie: als der Versuch, gegen die Verführbarkeit anzugehen mit der Entwicklung einer Selbstbestimmung, der argumentativen Verwertung eigener Interessen. Dies kann nicht allein durch die Kultur der Volksfront geschehen, sondern bedarf einer intellektuellen Steigerung des Bewusstseins, wie es in der avancierten Kunst, Philosophie und Literatur geschieht.

Das „Allegro für Orchester“ ist ein stürmischer Schlusssatz, in dem verschiedene musikalische Formen nicht ganz sauber auseinandergehalten werden können. Anklänge an den Sonatensatz wie das Rondo, unterbrochen durch manches Fugato, Zitate aus vielerlei Quellen (vor allem aus dem Präludium), kammermusikalischen wie groß orchestrierte Passagen finden sich zusammen, springen auseinander oder fließen ineinander. Marschartige Episoden werden in einen Dreiachteltakt transformiert. Nie kommt es zum Pathos, alles bleibt ebenso locker wie drängend. Kein „Durch Nacht zum Licht“-Typus.

Eigens für die Uraufführung 1959 ergänzte Eisler die Sinfonie um einen kurzen Epilog, ein ganz merkwürdiges Stück Musik, geschrieben aus der Perspektive der DDR, die ja auch mit den Menschen umgehen musste, welche aktiv am Bestehen und an Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt waren. Geschrieben aus dem Blick der Emigranten und Widerständler:

„Seht unsere Söhne, taub und blutbefleckt vom eingefrornen Tank hier losgeschnallt: Auch selbst der Wolf braucht, der die Zähne bleckt, ein Schlupfloch! Wärmt sie, es ist ihnen kalt, es ist ihnen kalt. Es ist ihnen kalt. Seht unsere Söhne.“

Thematisiert wird, dass man sich von der Vergangenheit nicht trennen kann, dass kein Schnitt hilft, dass das Verhalten der Söhne nicht auszublenden ist, dass sie aber trotzdem der Tröstung bedürfen, sofern sie sich erkennen und bewusst sind, an was sie mitgewirkt haben. Nicht das Angebot der Verzeihung, aber doch ein Angebot der eigenen Befreiung und Anerkenntnis der Schuld („wärmt sie“). „Im öffentlichen Bewußtsein ist die Verantwortung für Auschwitz nicht verankert. Jeder in Deutschland fühlt sich verantwortlich für Schiller, für Goethe und für Beethoven, aber keiner für Himmler,“ sagte Ignatz Bubis, und ähnlich meint es dieser kleine Epilog.

Das führt zurück zur Frage des Nationalen in der „Deutschen Sinfonie“. Dieses Werk ist ein Exilwerk, entstanden in Dänemark, Frankreich, England und den USA. Der aus Deutschland vertriebene und geflüchtete Eisler schreibt eine „Deutsche“ Sinfonie. Warum? Vermutlich doch deshalb, um ein anderes Bild von Deutschland zu artikulieren als die Nazis nach außen tragen. Nicht um es zu beschönigen, sondern um es gegen den damaligen Zustand zu entwerfen.

„Wenn man aber mal vierzehn Jahre in der Emigration ist und sich erinnert an dieses verdammte Deutschland, dann sieht man die Sache auch anders. Man erinnert sich zurück – ohne Sentimentalität. […] Ein dummer Komponist würde einen sentimentalen Dreck daraus gemacht haben. Ich erinnerte mich kühl, höflich und zärtlich. […] Die Deutschen sind ein unglückliches Volk. Wir sind nur sentimental und brutal. Wir haben zwei schreckliche Kategorien. Entweder vernichten wir Leute, vergasen Juden und schicken unsere jungen Leute gegen die russischen Panzer – oder wir sind sentimental und singen: ‘Ich weiß nicht, was soll es bedeuten’. […] Das ist die ‘nationale Schwäche’, die nicht national ist, sondern die aus der Produktionsmethode Deutschlands zu erklären ist“ (in: Gespräche mit Hans Bunge).

Die Deutsche Sinfonie muss man daher als Gegenentwurf zum Bild des Deutschen in der Welt ansehen, welches auf der einen Seite immer noch von preußischen Idealen geprägt ist und auf der anderen von den weltpolitisch von ihnen initiierten Katastrophen. Aber dieser Gegenentwurf ist notwendigerweise auf das reale Bild angewiesen, an dem er sich abarbeiten muss. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zum Wagnerschen Fall. Wo Eisler aus der Realität der Gegenwart die Gegenutopie entwickelt, geschieht es bei Wagner aus der Fiktion heraus. Das macht die Musik Wagners gewiss „freier“ und „phantastischer“, aber es macht die eigene ästhetische wie politische Haltung auch verantwortungsloser. Darin liegt ein Problem für die Rezeption der „Deutschen Sinfonie“ in Deutschland, welches selten nur seine eigene Vergangenheit in sich bewusst werden lässt, wie es Bubis ansprach, sondern in die Phantasie-Reiche einer vermeintlich unverdächtigen politischen Vergangenheit verschiebt. „Politisch verdächtig“ allemal, dass Eisler der Arbeiterbewegung und dem Kommunismus sich verbunden fühlte: politisch verdächtig in Ost und West übrigens gleichermaßen. Und es will abschließend ganz ins Bild passen, dass auch die Neue Kritische Edition der Musik und der Texte Hanns Eislers nicht langfristig gesichert ist – ja, man möchte sagen: typisch deutsch.

Quelle: Programmhefttext des Hamburger Konzertes von 1999.