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Fragment / unveröffentlicht

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Kulturpolitik und Öffentlichkeit

© 1999 by Martin Hufner (EMail)

Es gehört ja zum guten Ton, sich in die allgemeine Trauer über den Verfall der Kultur einzuklinken. An allen Stellen bekommt man den Verfall der Öffentlichkeit zu spüren. Haushaltskürzungen im Bereich der Kultur sind die Regel geworden. Da schließen ganze Opernhäuser, der Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen steht an in vielen Bundesländern zur Debatte und schließlich sind auch die Musikschulen in Gefahr. Das ist alles hinlänglich bekannt. Genauso bekannt ist es, daß auf der anderen Seite die staatlichen Institutionen gerne bereit ist, in die sogenannte Bildung von Eliten oder Hochbegabungen zu investieren.

Alles Gründe, pessimistisch in die Zukunft zu blicken? Natürlich sind die Gefahren groß, daß sich alles so weiterentwickelt, bis der Begriff der Kultur zu etwas wird, bei dem der eine oder andere dann seine Pistole zieht.

Jedoch macht man es sich zu einfach, wenn man immer nur jammert und die Umstände beklagt. Denn das heißt aufgeben, bevor man sich wirklich für den Erhalt der Kulturen bemüht hat. Gefordert ist vielmehr ein neuer Initiativgeist, der vor allem die Kommunikation zwischen den verschiedenen kulturellen Initiativen koordiniert. Heraus aus den regionalen Einzelkämpfen, heraus aus dem kleinen guten Stübchen, in dem man sich versucht die Restwärme der öffentlichen Mittel zu verwalten.

Der Soziologe Oskar Negt hat auf den typisch deutschen Verfall der kulturellen Öffentlichkeit hingewiesen. Er schreibt:

„Es ist nun kennzeichnend für die deutsche Geschichte, daß in dem Maße, wie sich Kultur nach innen zieht, die die Produktionsstätte jener machtgeschützten Innerlichkeit, auch die Dimension des Politischen verkümmert. Eine Folge davon ist die radikale Trennung von Innen und Außen, von Geist und Macht ... Geistverlassene Politik und politikferne Kultur sind verschiedene Seiten ein und desselben Entwicklungsgesetzes. ... Kultur hat sich in die Innerlichkeit zurückgezogen und ist zu dem geworden, was noch heute vielfach spürbar ist: zu einem Politikersatz. " (O. Negt: Lebendige Arbeit, enteignete Zeit)

Und man darf den Gedanken Negts vielleicht so weiter führen, daß mit der Tendenz zur Entpolitisierung der Politik (der Politikverdrossenheit) auch die Kultur entkulturalisiert wird (Kulturverdrossenheit).

Um diesem teuflischen Gefüge zu entkommen, gilt es, auch mal den Blick über den Tellerrand zu wagen, z.B. Konzepte anderer Länder zu beobachten; z.B. den Kontakt zwischen Musikschulen, der Schulmusik und der Hochschule und zu den privaten Initiativen und „Subkulturen" zu suchen. Man hat es sich einfach in der verstaatlichten Kultur zu bequem eingerichtet. Denn Deutschland, das Land, da ehemals das Land der Denker und Dichter genannt wurde, ist ja nicht die letzte verbliebene Treibhausblüte kulturellen und musischen Lebens. Von den Nachbarn lernen heißt ja nicht, sich deren Kulturverständnis überzustülpen. Warum, muß man sich fragen, warum also funktioniert in den Naturwissenschaften der Informationsfluß besser? Weil dort zum Beispiel tatsächlich die Möglichkeiten zum Informationsaustausch viel besser organisiert. Man schaffte sich dort die Infrastruktur zugleich mit dem Wunsch des Erkenntnisgewinns. Wo im kulturellen Bereich die Eigenbrötelei noch als Überbleibsel quasi der Genieästhetik des 18. und 19. Jahrhunderts sich überlebt hat, da zeigt sich in anderen Bereichen eben deren Abdankung, weil es eben förderlicher ist und zu überlebenswichtigen Erkenntnissen führt. Wenn dies nicht geschieht, wird man allein noch Zuschauer aktiv sein können, während auf der einen Seite die sogenannte Hochkultur mit der sogenannten Hochfinanz paktiert und der Rest in die Hände von Staatssekretären und Managern abgleitet, die wie eine Treuhandgesellschaft die letzte Substanz einer auch musischen Kultur abwickeln. Das Traurige daran ist, daß eben dieser Wille zur Kommunikation mittlerweile selbst schon so abgestorben ist, daß Initiativen wie die Klassik.Komm, die eben ein produktives Forum darstellen sollte, an der langen Leine verhungert sind. Statt sich gerade auch kritisch in diesem Forum einzumischen, scheint man an vielen Orten die Auseinandersetzung zu fürchten, wie der Teufel das Weihwasser.

Da sich die gegenwärtige Gesellschaft in einer rasanten Weise zu einer Medien- und Kommunikationsgesellschaft (mit all ihren Gefahren und Problemen aber auch Errungenschaften) verändert, wäre es das Schlimmste sich nach altbekannter Methode den Kopf in den Sand zu stecken und es mit althergebrachter Romantik zu versuchen, so wie es die Apologeten den Jugendsingbewegung mit Lagerfeuermentalität gegenüber der spätkapitalistischen Gesellschaft der 50er bis 70er Jahre versuchten. Man muß nur nicht glauben, daß das Überlebte sich erneuern ließe und als Wandervogel auf Inline-Skates oder Skateboards fröhliche Urständ feiern könnte. Musische Bildung ist unabhängig von einem wie auch immer definierten Standard. Auch das könnte uns ein Blick über Deutschland hinaus lehren.

Die Erhaltung des musischen Lebens kann nicht allein geleistet werden durch gute Worte sondern muß vor allem Resultat einer öffentlichen Praxis sein, die durch ihre Taten die Öffentlichkeit so mitverändert, daß man einfach nicht an ihr vorbei kann. Und das heißt eben heraus aus dem taktischen und pragmatischen Buckeln, hinein in eine aggressive Öffentlichkeitsarbeit. Die Phänomene, die beispielsweise Peter Weiss in seinem Roman „Ästhetik des Widerstands" beschrieb wären aufzunehmen und auf die neue politische europäische Landschaft zu applizieren. Die verlorenen und verwaisten Strukturen lassen sich nur von ganz unten wieder ingangsetzen.

Kulturpolitik heißt heute mehr denn je Politik treiben. Nicht Politik im Sinne eines staatsbürgerlichen Aktes durch Wahlen und Abstimmungen, sondern Politik und Kultur, die sich den öffentlichen Raum zurückerobert, sonst endet wahrscheinlich alles gegenwärtige kulturelle Leben in den Sangriakübeln eines Ballermann 6 auf Mallorca.