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Quelle:
neue musikzeitung

Portrait

Jahr 1999
Ausgabe 5
Seite 12
nmz-online

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Sich schwerelos durch den harten Markt spielen

© 2000 by Martin Hufner (EMail)

Portrait des Vogler-Quartetts

Als sich die Musik-Biennale dieses Jahr um die Musik der 80er Jahre bemüht hat, lag es auf der Hand auch eines der extremsten Werke aus dieser Zeit zur Aufführung zu bringen: Morton Feldmans 1983 komponiertes Zweites Streichquartett. Es ist mit einer Dauer von vier bis fünf Stunden eines der längsten Kammermusikwerke überhaupt.
Natürlich gibt es kein Quartett, das dieses Stück im „Repertoire" hat. Die Festivalmacher fragten das Vogler Quartett aus Berlin, das auch spontan zusagte. Für die Musiker stellte dieses Stück eine Herausforderung in vielerlei Hinsicht dar. Neben einer gewissen physischen und physiologischen Problematik (muß man auf die Toilette, wird das Instrument zu schwer, hält die Konzentration?) ist dieses Stück auch in seiner technischen Schwierigkeit zu bewältigen. Dem Vogler Quartett gelang im Hamburger Bahnhof, einer Ausstellungshalle in Berlin, eine exemplarische Aufführung. Der Klang des Quartettes wirkte so sehr homogen, daß man durchaus den Eindruck gewinnen konnte, es würde nur ein einziger Musiker auf nur einem Instrument spielen. Dazu gesellte sich eine Art Schwerelosigkeit in der Zeitartikulation, die ganz spannend sowohl einer Hektik als auch der Langweile entriet. Die Aufführung und Einstudierung des Streichquartetts von Morton Feldman sind typisch für die Haltung dieses Quartettes insgesamt.

Das Vogler Quartett kennt sich in der traditionellen Streichquartettliteratur genauso gut aus, wie es offen ist für die Literatur dieses Jahrhunderts. Gewinnt man häufig den Eindruck, daß ein Streichquartett, will es zu Spitzenleistungen gelangen, sich entweder für die traditionelle oder die neue Musik entscheiden müsse, so zeigt das Vogler Quartett, daß dies nicht zwangsläufig so sein muß. Diese Orientierung scheint indes für sehr viele junge Quartette (zum Beispiel Buchberger und Auryn – die nebenbei dieses Jahr ebenfalls das Feldman-Quartett spielen werden) typisch. Die Aufnahmen der beiden Janacek-Quartette und der Lyrischen Suite von Alban Berg, wie auch das Feldman-Konzert belegen das Interesse an der Musik dieses Jahrhunderts eindeutig. Jeder Musiker hat gegenwärtig mindestens fünf neue Partituren zum Studium auf dem Nachttisch. Daß sich darunter auch manch kurioses Stück findet, versteht sich von selbst. An Werken mangelt es nicht, wohl aber ist die Qualität der Stücke nicht immer zu akzeptieren. In der Planungsphase ist ein Stück von Moritz Eggert, zu dem der Schlagzeuger Peter Sadlo hinzutreten wird.

Das Vogler Quartett entwickelte sich im Rahmen des ostdeutschen Ausbildungssystems, mit all seinen Besonderheiten. Drei der Musiker (Tim Vogler 1. Violine, Frank Reinecke 2. Violine und Stephan Forck Violoncello) besuchten als Kinder eine Spezialschule für Musik in Berlin (Ost), in der begabte Musiker besonders gefördert worden sind. Auf der Hochschule für Musik „Hanns Eisler" komplettierte sich die Musiker zum Quartett mit dem Bratschisten Stefan Fehlandt; einerseits auf Initiative des Geigenlehrers Prof. Eberhard Feltz, aber auch weil man sich kannte und befreundet war. Seinen ersten großen internationalen Erfolg konnten es 1986 beim Gewinn des renommierten Streichquartett-Wettbewerbs in Evian verbuchen. Das war gerade einmal ein Jahr nach seiner Gründung. Durch diesen Erfolg begünstigt erhielten sie die Chance 1989 zum Studium beim LaSalle Quartett in Cincinnati (USA) für etwa ein halbes Jahr auszureisen. Diese Zeit wurde vor allem dazu genutzt, das Repertoire zu erweitern und lange Stücke jenseits von Wettbewerbsbedingungen zu proben.

Ein besonderes Augenmerk legt das Vogler Quartett auf die Zusammenarbeit mit anderen Musikern. Das gehört zu einer Repertoirepolitik, die sich neben den Gesamteinspielungen der alten Quartettgarde bewähren muß. So wird man wohl auch in nächster Zukunft keine Einspielung der Quartettschaffens von Haydn erwarten. In CD-Produktionen wendet sich das Quartett den seltener gespielten Stücken zu. Die Vorgaben hierfür liegen allerdings in erster Linie bei den Plattenfirmen. Aber den Schumann und den Brahms gibt es sehr wohl komplett, allerdings in einer Form, die typisch für das Selbstverständnis des Quartetts ist: So gibt es nicht eine Schumann- und eine Brahms-Kassette, sondern immer sind auf einer CD sowohl ein Brahms- und ein Schumann-Quartett gekoppelt. In Produktion ist gerade eine Einspielung des Reger-Quartetts op. 109 und dem Klarinettenquintett mit dem Klarinettisten Karl Leister.

Dabei offenbart sich eine Differenz zwischen Platteneinspielungen und Konzerten: Konzertreisen führen das Quartett häufig ins Ausland, aber auch in Berlin richtet man im Konzerthaus schon in der sechsten Saison eine Konzertreihe aus. Man tritt selbst als Veranstalter auf, das Konzerthaus stellt den Raum und die Programmhefte. So redet einem kein fremder Veranstalter in die Programmierung hinein. In den Konzerten wahrt man eine Mischung aus traditionellem und modernem Repertoire. Dabei hat man sich ein Publikum „herangezogen", das sich diese Mischung mittlerweile auch wünscht. Die 400 Plätze sind in der Regel ausgelastet. Dazu trägt auch die zuhörerfreundliche Preispolitik bei. Es sollte den konservativen Konzertveranstaltern zu denken geben, daß man für die Kombination von moderner und traditioneller Musik durchaus ein umfangreiches Publikum begeistern kann – nur Mut.

Das Management des Ensembles liegt quasi in der eigenen Hand. Claudia Köster-Fehlandt, verheiratet mit dem Bratschisten, leitet die Künstleragentur „Vivace", die sich selbstverständlich auch um die Belange des Quartetts kümmert.

Auch hochschulpolitisch möchte das Quartett Akzente setzen. So empfinden es die Musiker als sinnvoll, die Kammermusikausbildung viel stärker an den Musikhochschulen zu institutionalisieren. Als Form stellen sich die Musiker nach amerikanischen Vorbild das sogenannte „Quartet in Residence" vor. Das hätte wenigstens drei interessante Konsequenzen.

Einerseits würde spezifische musikalische Techniken gelernt und gelehrt, die beispielweise für das Orchesterspiel maßgeblich sind, neben der reinen technischen Beherrschung des Instruments. Wie erfolgreich diese Idee eigentlich ist, zeigt das Vogler Quartett ja selbst, wenn es an die Zusammenarbeit mit dem LaSalle Quartett und später mit György Kurtag zurückdenkt. Auch das Auryn Quartett hatte solcherlei Anstöße (Studium beim Amadeus Quartett in Köln und beim Guaneri Quartett an der Universtity of Maryland).

Zweitens würde diese Konstruktion dazu dienen, dem Ensemble gewisse existentielle Rahmenbedingungen anzubieten. Denn gerade in der Kammermusik kann man nur selten von den Einnahmen aus CD-Produktionen und Konzerten vernünftig leben. Momentan ist es so, daß die einzelnen Musiker in verschiedenen Städten arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Eine kontinuierliche Zusammenarbeit ist darum wenigstens beschwerlich.

Ein dritter Vorteil besteht für die Hochschulseite, das Ausbildungsangebot attraktiv zu erweitern. So kann sich die Musikhochschule Köln zum Beispiel glücklich schätzen, das Alban Berg Quartett als Dozenten gewonnen zu haben. In Zeiten des Wettkampfes der Hochschulen untereinander, könnte man sich so auf „anständige" Weise profilieren. Aber das ist natürlich nur ein begleitender Effekt neben dem pädagogischen Gewinn für die Studierenden, die immer noch dem Fetisch des „Technikklotzen" ausgesetzt sind.

Martin Hufner