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Quelle:
Taktlos No. 34 (Oktober)

Sendetermin: 6.10.2000 / 20:05 Bayern2Radio
Website taktlos
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Geistiges Eigentum, eine Fiktion

Versagen der Musikindustrie, Ideologie des freien Tausches,
das Ende der Solidargemeinschaft

© 2000 by Martin Hufner (EMail)


Taktlos 34 geistiges eigentum II, Beitrag Martin Hufner

Musik: Metallica & Britney Spears: So fucking Crazy

Das Gerede und Gezappele über Schutz und Würde „Geistigen Eigentums" im Internet ist zu einer reinen Medienshow geworden. Da beansprucht die Musikindustrie das Recht des Schutzes „Geistigen Eigentums", und die Internet-Ideologen kontern mit dem Recht der freien Meinungsäußerung und des freien Tausches unter Freien. Aber sowohl die Argumente der Musikindustrie wie die der Netzanarchisten beruhen auf Fiktionen.

These 1:

Musik: The Former Yugoslavia: Fight Fire With Stupid

Das Versagen der Musikindustrie

Die Musikkonzerne jammern lauthals, weil im Internet Musikdaten von einem Computer auf den nächsten übertragen werden, ohne dass für sie dabei ein direkter Geldwert herrausspringt – dumm gelaufen, aber selbst Schuld. Jahrelang haben die Musikkonzerne ein leichtes Spiel gehabt. Sie konnten Musikkünstler mit Verträgen und die Hörer mit dieser Musik knebeln. Alles schön wertfrei, nur bedacht auf das Funktionieren ihrer Wertschöpfungsketten. Das ist nun in Zeiten des Internets vorbei. Und plötzlich pocht die Musikindustrie auf die konsequente Anwendung eines Rechtssystems, dessen Vorteile sie bisher so geschickt auszunutzen wusste. Haben, haben, haben, darum geht’s. Dabei besteht die demokratische Verfassung nicht nur aus Rechten sondern – was leicht vergessen wird – auch aus Pflichten. Diese bleiben uns die Musikkonzerne bislang schuldig. Die Musikindustrie betrieb Raubbau an Hirn und Selle und war einfach nicht bereit zur Übernahme kultureller Verantwortung. Mit anderen Worten, die Musikindustrie arbeitet im Wesentlichen parasitär, weil sie sich sich nur zu einem winzigen Teil solidarisch an der musikalischen Entwicklung der Gesellschaften beteiligt. Sie zeigt sich desinteressiert an einer Verbesserung des musikalischen Bildungsstandes. Ein Engagement in dieser Richtung gibt man gerne an den Staat und bürgerliche Initiativen ab.

These 2:

Musik: The Former Yugoslavia: Fight Fire With Stupid

Die Ideologie vom freien Tausch im Internet

Kein Begriff ist so blutentleert worden wie der des demokratisch-freien Internets. Da reden die lauten Quälgeister von freier Meinungsäußerung und nicht zensierbaren Inhalten. Das jedoch ist Lug und Trug. Auch das Netz besteht zum größten Teil aus rein konsumö-orientierten Opportunisten. Der Journalist Anton Waldt schreibt dazu in der Zeitschrift de:bug: Wissenschaftler hätten herausgefunden, „dass 70 Prozent der Nutzer von Gnutella keine Musik-Files zur Verfügung stellen, sondern diese nur herunterladen ...." Das ist ganz die Einstellung: Freie Fahrt für freie Bürger. Dieses Konsumverhalten, welches die Musikindustrie nun so medienlaut bejammert, ist aber zu einem großen Teil von dieser erst produziert worden – so dialektisch können gesellschaftliche Prozesse ablaufen. Nun wird der Musikindustrie die Rechnung aufgemacht und diese gibt sie scheinheilig an die Künstler weiter, die nun als die Opfer der Konsumenten hingestellt und gleichzeitig als ideologischer Schutzschild missbraucht werden. Kein feiner Schachzug.

These 3:

Musik: The Former Yugoslavia: Fight Fire With Stupid

Geistiges Eigentum ist eine Fiktion

In einer Welt wo Trottel auf Trottel trifft, da trifft man sich im Niemandsland der Werte. Wer die Werte nur achtet, wo sie einem passen und sie ignoriert, wo sie Zeit, Hirn, Geld und Engagement kosten, der hat jede moralische Glaubwürdigkeit verspielt. Die Karre ist in den Dreck gefahren. Und schlimmer noch, sie wird immer weiter hineingefahren durch die von den Trotteln angeleierte Diskussion über geistiges Eigentum. Denn es geht bei den genannten Protagonisten nicht um eine aufflammende Wertschätzung geistigen Eigentums, sondern die verlorengehende Wertschöpfung aus geistigem Eigentum. An der rechtlichen Würdigung geistigen Eigentums kommt keine Solidargemeinschaft vorbei. Aber wo die Solidargemeinschaft aufgekündigt wird, da gerät auch die Wertegemeinschaft aus den Fugen. Der Begriff des Geistigen Eigentums ist im emphatischen Sinne kein Begriff des Rechts sondern eine Umschreibung für die Wertschätzung kreativer geistiger Tätigkeiten. Und diese leisten weder die Musikindustrie noch die Konsumenten in irgendeiner Form, die einer wie auch immer demokratischen Gesellschaft zustünde.