Enzyklopädie der Kritischen Masse
Kritische Masse Startseite
   
   
 
     

Quelle:
Taktlos No. 48 (Dezember)

Sendetermin: 1.12.2001 / 20:05 Bayern2Radio
Website taktlos
RealAudio

Zurück

 

 

 

Älterwerden mit Musik

© 2001 by Martin Hufner (EMail)

 


Sprecher 1: Wo man heute auch hinsieht oder hinhört: Die Jugend und die kaufkräftigen 20 bis 30-jährigen stehen im Mittelpunkt unseres Fit-Forever-Kulturlebens, auch in der Musik: RTL-Popstars, Konzerte für Kinder, Studien über die möglichen Effekte einer frühen musikalischen Förderung von Kindern und Jugendlichen. Bisweilen springt man musikalisch sogar bis in die Gebärmutter hinein. Die „Alten" dagegen gelten vielen als überflüssiger Balast und außerdem noch als permanenter Vorwurf an die Jugend. „Wer nicht jung sterben will, muss alt werden," meint lax ein Sprichwort. In dieser kampfbereiten Kultur des Jungseins stehen die Alten mit dem Rücken zur Wand. Jean Amery hat in seinem Buch über das Altern das Szenario so zusammengefasst:

Sprecher 2: „Wenn wir die Lebenshöhe überschritten haben, verbietet uns die Gesellschaft den Selbstentwurf und wird die Kultur zur Lastkultur, die wir nicht mehr verstehen, die vielmehr uns zu verstehen gibt, daß wir als altes Eisen des Geistes auf die Abfallhalden der Epoche gehören."

?? [Musik: Beethoven 9. Sinfonie, zweiter Satz ab 1:43 freistehend [Track 5]] ??

Sprecher 1: Eine altenfeindliche Welt auch in der gegenwärtigen Musikkultur: Man setzt auf eine zumeist sogar nur alibihafte Förderung der Jugend und vergisst, dass das Haus der Musik wie kaum ein anderes Platz für alle Generationen bietet. Doch alle Generationenverträge scheinen aufgekündigt. Da entwickelt man nun einfach Sonderprogramme für jede Altersgruppe. Schön sauber werden Kinder, Eltern und Großeltern in verschiedene Bezirke separiert und gegeneinander abgeschottet. Und das hat bisweilen traurige Aspekte, wenn zum Beispiel mancher Kirchenchor einfach vergreist und langsam wegstirbt.

Älterwerden mit Musik könnte aber heißen, die Lernprozesse mit Musik in jeder Altersgruppe zu aktivieren, den Austausch der Generationen wieder durchlässiger zu machen, so wie es früher einmal in der Tätigkeit der Hausmusik der Fall war. Leider stellen sich dabei Widerstände ein, die nicht gerade das beste Bild unserer Gesellschaft zeigen. Für unsere Gesellschaft ist der Generationendurchsatz nur dann interessant, wenn er sich auch wirtschaftlich ausbeuten lässt. So bekämpft man die Generationsgrenzen lieber mit Anti-Falten-Cremes und Vitaminpillen anstatt durch Kommunikation und Verständnis untereinander.

Musik: Beethoven 9. Sinfonie 4. Satz frei ab 2:30 [Track 6]

Jedes Alter hat seine eigene Zeit und jedes Alter hat seine eigene Würde, dies zu übersehen wäre Verblendung. Aber jedes Alter kann und muss mit jedem Alter kommunizieren und sollte dies auch unbedingt tun. Musik und Musizieren könnten da besonders schöne Wege sein für eine Gesellschaft, die anfinge, sich selbst mit ganzem Herzen lieben zu lernen.

Musik: Biermösl Blosn, Seid’s alle do? Track 2 (ab 2:54)

Martin Hufner