 |
|
|
||
|
|
|
||
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Quelle:
Taktlos No. 5 (Mai)
Sendetermin: 8.5.1998 / 20:05 Bayern2Radio
Website taktlos
68er. Neue Musik zwischen Chile-Kantate und Yoga
© 1998 by Martin Hufner (EMail)
Musikbeispiel
(Zimmermann: Requiem für einen jungen Dichter)
Sprecher 1:
Die 68er haben
auch die Avantgarde-Komponisten in ihren Bann geschlagen. Um Up-To-Date
zu sein, um Gesinnung zu zeigen, um das eigene Gewissen zu beruhigen.
Der Gründe mag es viele geben. So elfenbeinern sich die musikalische
Avantgarde gerne auch gibt, so sehr will sie sich als korrekturgebendes
Heilmittel verstanden wissen. Dieses Heilmittel drängte es 68 verstärkt
an die Öffentlichkeit. Neue Musik, jene Insel von winselnden Besserwissern
und Ästheten, stand der Revolte bei: in Worten, Werken und Taten.
Und so begaben sich einige Komponisten in die krawattierten Konzertsäle.
Man schrieb sich ein in die „goldenen Bücher" der Revolutionsgeschichte.
Darüber ergoß Mauricio Kagel seinen beißenden Spott:
Musikbeipiel
(Nono: Contrapunto Dialettica al Mente) unter dem Kagel-Zitat langsam
einblenden und am Ende des Kagel-Zitats aufblenden für 10 bis 15
Sekunden (CD Track 9 bei Minute 14)
Sprecher 2: (Kagel)
Leider sehe
ich auch Komponisten an der nächsten Chile-Kantate arbeiten, in der
die Schreckenstaten der Militärdiktatur in säuberlich organisierten
Tonreihen disponiert werden, oder ein Griechenland-Oratorium für
Soli, Chöre, Orchestergruppen und elektronische Klänge, mit
gut hörbaren Opferschreien und Foltergeräuschen, damit das internationale
Publikum das Engagement spürt. Und das Wort Freiheit wird durch den
Klangwolf des Synthesizers so lange moduliert, bis man es deutlich mißversteht.
Und schließlich erhebt sich das leidende Proletariat aller Länder
im Zeichen der Dankbarkeit, wenn Komponisten durch Tonsetzung des Marxschen
„Kapital" sich mit ihm solidarisieren.
Sprecher 1:
Während
die einen auf den Zug des Revoluzzertums aufsprangen, flowerpowerten sich
andere in den Zustand zugedröhnter Gehirnabschaltungstechniken: Yoga
für Blumen. Mitten in die Maiunruhen komponierte Karlheinz Stockhausen
zum Beispiel folgendes Werk:
Musikunterlegung:
Stockhausen: Aus den sieben Tagen, schon ab Mitte Text Sprecher 1
Sprecher 2 (Stockhausen)
---
Denke Nichts
/ Warte bis es absolut still in Dir ist /
Wenn Du das erreicht hast / beginne zu spielen /
Sobald Du zu denken anfängst, hör auf /
und versuche den Zustand des NICHTDENKENS wieder zu erreichen /
Dann spiele weiter //
10. Mai 1968
Sprecher 1:
Freilich haben
die kleinen Kuckkucksblicke der Komponisten Ihre Chancen auf Einkehr in
die sozialistischen Walhallas und sirianische Nirwanas gesteigert. Wer
jedoch die Situation richtig zu deuten vermochte, der verabschiedete sich
und warf einen letzten Blick in die Pop- und Rockmusik, die das musikalische
Ruder nun endgültig übernahm. Die Revolution der Avantgarde
ging baden und zwar ohne naß zu werden.
Musikbeispiel:
Beatles „We all live in the yellow submarine"
Regensburg, 4.5.1998