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Quelle:
Taktlos No. 17 (Mai)

Sendetermin: 7.5.1998 / 20:05 Bayern2Radio
Website taktlos

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Hören Sie das Beispiel

 

 

Alternative Kulturfinanzierung

© 1999 by Martin Hufner (EMail)

Musik:
John Cage: Präpariertes Klavier (unter dem Beginn des Textes liegen lassen)

Sprecher:
Das Gejammer um Werteverluste und Kulturerosionen
ist in allen Feuilletons deutlich zu hören. Klar, worüber sollen die noch schreiben, wenn es keine sogenannten Kulturveranstaltungen gäbe. Eine komplette Gruppe von Journalisten müßte sich nach neuen Arbeitsfeldern umsehen oder, was vielleicht einfacher ist, den Begriff der Kultur neu verstehen lernen. Aber lassen wir diesen abseitigen philosophischen Blick in die Eingeweide mal beiseite, es soll jetzt nicht um singende Binden, jodelnde Kondome, Fußballstars als Tenöre und dergleichen gehen. Auch geht es bei dem Begriff der "Alternativen Kulturfinanzierung" nicht darum, statt mit Geld jetzt mit Bananen "die" Kultur zu finanzieren, obwohl dieses Verfahren bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten vor 10 Jahren durchaus funktioniert hat.

Faktum ist, daß sich die öffentliche Hand aus der Verantwortung für die Finanzierung einer freien und allgemein zugänglichen Kultur lieber heute als morgen verabschieden möchte. Das Zauberwort vom Kulturauftrag wird peu a peu abgeschoben in private Finanzierungsmodelle durch Mäzene, Sponsoren, Stiftungen, Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkten Haftungen.

Das hat ja auch Tradition. Ein Blick auf das Leben von Ludwig van Beethoven belegt diesen Trend: Als sich Beethoven im Jahre 1809 von Wien nach Kassel wenden wollte, um dort als Kapellmeister eine Anstellung anzunehmen, fanden sich überraschend drei Personen zusammen, um Beethoven lebenslang durchzufüttern. Erzherzog Rudolph, Fürst Lobkowitz und Fürst Kinsky legten 4000 Florin für ein Jahresgehalt zusammen, denn für sie hat gegolten: "Es muß das Bestreben und das Ziel jedes wahren Künstlers sein, sich eine Lage zu erwerben, in welcher er sich ganz mit der Ausarbeitung größerer Werke beschäftigen kann und nicht durch andere Verrichtungen oder ökonomische Rücksichten davon abgehalten wird."

Zu Beethovens Zeit hatte dieses Finanzierungsmodell noch Stil, indem Beethoven jenen Gönnern eine hübsche Widmung in seine Kompositionen schrieb. Die Gegenwart ist profaner. Da findet sich bei Wolfgang Rihm schon mal der prosaische Hinweis: "Auftragwerk der Stadtsparkasse Kassel".

Musik:
Beethoven Trio op. 97 Erzherzog Rudolph

Sprecher:
Ich bezweifle sehr, daß das Modell Beethoven für die Gegenwart taugt. Gewiß, es gibt Fördervereine für dies und das, aber die Mannigfaltigkeit der Kulturlandschaft läßt sich auf diese Weise nicht dauerhaft finanzieren. Wir leben ja hier in einer Massendemokratie und nicht im Feudalismus, wo der Adel den Musiker neben den Hofnarren stellen konnte. Das gegenwärtige Gezeter um die Finanzierung von Kultur übersieht eines, nämlich den mit dem Begriff der Kultur engverbundenen Begriff der Bildung. Eine alternative Kulturfinanzierung hätte meines Erachterns zunächst einmal in die Bildung der Menschen zu investieren. Das klingt popelig und banal, doch nur so läßt sich ein Gemeinwesen von aufgeklärten Menschen entwickeln, das es mit den technologischen, wirtschaftlichen und ideologischen Entwicklungen der Gegenwart aufnehmen kann. Ansonsten, so fürchte ich, führt der Weg unweigerlich in einen zweiten Feudalismus zurück und das neue Lumpenproletariat vergnügt sich hedonistisch auf Ballermann 6 oder Hollywood-Illusionen – vom unsäglichen Internet-Schwachsinn einmal ganz abgesehen.

Musik:
John Cage: Irgendwas mit präp. Klavier

Sprecher:
Ich plädiere für ein ganz anderes Modell nach dem Vorbild das Strafvollzugs.
Eine Gesellschaft, die es sich etwas kosten läßt, vermeintliche oder tatsächliche Verbrecher in eigens dafür gebauten Häusern unterzubringen, sollte es sich überlegen, ob nicht diese Justizvollzugsanstalten in Kultur-Vollzugsanstalten umgewandelt werden könnten. Ja, "Künstler ins Gefängnis" wäre ein hübsches Motto. Man könnte nach dem Vorbild Arno Schmidts so etwas wie eine "Gelehrtenrepublik" einrichten. Man wäre da unter sich, hätte automatisch das adäquate Publikum, alles wäre bestens. Das Geld ist ja da, und die Kulturmenschen wären vor den bösen Ganoven auch in Sicherheit. Wie, das scheint Ihnen etwas absurd zu sein? Nun, ich möchte nur erwähnen, daß es den sogenannten offenen Kultur-Vollzug doch schon längst gibt: Darmstadt, Donaueschingen, Witten, Villa Massimo in Rom, nicht zu vergessen die "Hörspiel- und Featureabteilungen" der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Der geschlossene Vollzug dürfte da sehr noch viel effektiver sein. Und wir Feuilletonisten hätten als Aufseher auch noch einen Job.

Martin Hufner