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Quelle:
Taktlos No. 7

Sendetermin:
3.7.98 / 20:05-21:00,
Bayern2Radio
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Monopol – Abdankung der Öffentlichkeit

© 1998 by Martin Hufner (EMail)

Kunst ist sinnlich. Doch sinnlicher ist es, Gaumenfreuden sich zu widmen. Das hat die Musikindustrie eingesehen. Pavarotti wird parfümiert, Karajan jetzt zu Whisky gereicht. Der Whisky-Mogul „Seagrams" hat sich die Plattenfirma Polygram unter den Nagel gerissen. Zu Polygram gehören zum Beispiel Phillips, Decca und die Deutsche Grammophon. Alles arrivierte Musiklabels, die schon manches mal für innovative Programmpolitik zu haben waren. Das wird bald vorbei sein, wenn nämlich die Kriterien zur Beurteilung von Whisky auch auf der Musikebene zu greifen beginnen. Dann ist ein „warmer Abgang" wichtiger als ein kritischer Aufgesang.

In letzter Zeit häuften sich die großen Monoplisierungs-Eskapaden. Mercedes-Benz fusioniert mit Chrysler, Volkswagen kauft Rolls-Royce. Bertelsmann hat gerade den Berlin Verlag geschluckt. Seit Jahren konzentrieren sich immer mehr Unternehmen zu wenigen Größeren zusammen. Windeln, Benzin, Beethoven: Irgendwann kommt alles aus einer Hand. Statt der Partei hat dann der Betrieb recht – und zwar immer. Und es ist eine natürliche Folge, daß dieser Superbetrieb auch öffentliche Meinung und Politik diktiert. Ansätze dazu sieht man schon jetzt.

Zum Beispiel an der größten Baustelle im Zentrum Berlins, dem Potsdamer Platz: Statt eines bunten Kesseltreibens in der Schaltzentrale alter Berliner Meinungsvielfalt, haben sich dort die neuen Mammutunternehmen mit Wahnsinnsbauten verewigt und Stadt und Land sagen brav: „Macht, was Ihr wollt". Jeder Veranstalter von Straßenfesten hat wohl mehr Auflagen zu erfüllen als auch nur einer dieser Konzernriesen.

Zeichen der neuen unseligen Allianz und zugleich Offenbarungseid der Politik war auch die letzte Amerika-Tournee des Bundesjugendorchesters aus Anlaß des 50. Jahrestages der Luftbrücke nach Berlin. Unter dem Motto: „Thank You America" spannten ein paar Sponsoren genannte Unternehmen das pädagogisch wertvolle Ausbildungsorchester vor ihren Karren und betrieben Regierungspolitik. Das Steuerzahler-Volk, das ja finanziell dieses Orchester zu einem wesentlichen Teil mitträgt, hatte darauf so wenig Einfluß wie irgend ein kritischer Geist. So werden die materiellen und immateriellen Güter, die das Volk produziert, zum freiverfügbaren Dauerleihmaterial der gegenwärtigen Politik. Das verkaufte Jugendausbildungsorchester wird zum Werksorchester des postmodernen Kapitalismus dressiert. Wenn die Volksvertreter es nicht schaffen, das Volksvermögen so zu verwalten, daß man ein offenes, freiheitliches und gebildetes öffentliches Klima gestalten kann, sondern wenn sich die Volksvertreter in ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit an jene wenden, die eben dieses Volk – nicht ohne dauernd zu jammern – wirtschaftlich abzocken, ruft man sich den neuen Zauberlehrling heran. Das Geschrei ist groß, wenn man dann die Geister, die man rief, nicht los wird.

Martin Hufner