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Quelle:
Taktlos No. 19 (Juli)
Chormusik

Sendetermin: 2.7.1999 / 20:05 Bayern2Radio
Website taktlos

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Elite und Provinz. Geld und Geduld. Ungleichungen

© 1999 by Martin Hufner (EMail)

Sprecher:
15 Millionen Mark will die neue Bundesregierung bei der Unterstützung der Goethe-Institute einsparen, 15 Millionen Mark soll das Mahnmal in Berlin kosten. Die Erträge der GEMA für das letzte Jahr beliefen sich auf das hundertfache, nämlich zirka 1,4 Milliarden Mark. Und 15 Milliarden Mark gibt die öffentliche Hand insgesamt für Kultur aus. Anders gesagt: Mit dem GEMA-Geld eines Jahres könnten zum Beispiel hundert Berliner Mahnmale gebaut werden oder dreihundert große Goethe-Institute wie in New York unterhalten werden. Wird Ihnen bei diesem Zahlengewimmel auch schwindlig? Dabei sind dies alles Ungleichungen. Die Dimensionen von Geld, Wirkung, Ertrag und gesellschaftlicher Bedeutung sind eigentlich nicht mehr zu erfassen. Man verliert jegliche Einsicht in der Verhältnis von Kultur und Geld.

Ist der Bereich der Kulturfinanzierung also zum Tummelplatz für abenteuerliche Zahlenmystik geworden?

Ja und Nein. Eine lange Zeit lebte die bundesrepublikanische Gesellschaft ganz gut vom Wohlstand. Nun. in Zeiten steigender Beschäftigungslosigkeit, im Umbruch der Funktionsweise des Kapitalismus, unter dem Eindruck der europäischen Vergesellschaftung, des globalen Warenverkehrs und steigender Staatsverschuldung, stehen alle Haushaltsposten zur Disposition. Der Kampf um den Erhalt der kulturellen Institutionen ist wohl längst verloren. Seit den mittleren 70er Jahren haben viele große kulturelle Institutionen die gesellschaftliche Herausforderung nicht angenommen. Und zwar deshalb, weil man sie nicht wahrnahm und im eigenen Saft schmorte. Sie waren häufig nur selbstlaufende Schnarchstätten, gefördert mit Mitteln der öffentlichen Hand. Jetzt wachen sie auf, weil man ihnen ihr finanzielles Schlafmittel abgesetzt hat.

Der Traum von der freien Kunst entpuppt sich nach und nach als kulturpolitischer Alptraum. Gerard Mortier sagte kürzlich in einem Zeit-Interview: „Den Untergang einiger Opernhäuser würde er befürworten." Und auf die Nachfrage, ob er große oder kleine Opernhäuser meine, antwortete er: Große.

Er hat Recht, denn die Dinosaurier-Kultstätten findet ihre Anhängerschaft hauptsächlich in der Finanzelite –in Form der touristischen Veranstaltung. Die Konstruktion des Baden-Badener Festspielhauses ist ein Beispiel für so ein veraltetes Verständnis von Kultur. Aber auch die Tingel-Tangel-Musicals, die sich über Deutschland verstreuen, können für dieses Wallfahrtsstättengehabe einstehen. Unter diesen Fehlentwicklungen leiden überverhältnismäßig die kleinen kulturellen Brutstätten, denen man genadenlose Kürzungen von Bund, Ländern und Kommunen zumutet. Dabei sind gerade sie so entscheidend für die kulturelle Bildung in einer ganz notwendig und natürlich begrenzten Wirkungsregion. Das findet seinen Ausdruck darin, wenn die Potsdamer etwa sagen: Das ist unser Orchester. Was man hier verliert und zerstört, ist unmöglich über die politisch funktionalisierte Fassadenkultur wieder einzuholen und womöglich irreversibel, denn unsere Zeit kennt keine Geduld.

Martin Hufner