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Quelle:
Taktlos No. 28 (April)
Musik und Gewalt

Sendetermin: 7.4.2000 / 20:05 Bayern2Radio
Website taktlos

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Hören Sie das Beispiel

 

 

Musik und Gewalt

© 2000 by Martin Hufner (EMail)

Sprecher 1:
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" (Artikel 20 Absatz 2 des Deutschen Grundgesetzes).

Dagegen:

„Unter Gewalt kann die Ausübung von physischem oder psychischem Zwang mit dem Ziel verstanden werden, Personen oder Sachen zu schädigen." So steht es im „Handbuch Politikwissenschaft" von Neunzehnhundertsiebenundachtzig.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Sprecher 2:
Eines ist klar: So wie der Begriff der „Musik" schillert, ist auch der Begriff der Gewalt nicht so recht zu fassen. Bringt man Musik und Gewalt in einen Zusammenhang, kochen bisweilen die Diskussionen hoch.

Musikbeispiel 1:
Henrietta Collins And The Wifebeating Childhaters („Hey Henrietta") Anfang bis erstem Krach (dann schnell wegblenden)

Rockmusik gilt als gewalttätig in ihrem gesamten Auftreten und in ihrer musikalische Geste. Dies zu leugnen hieße große Bereiche der Rockmusik um ihre Substanz zu betrügen. Als Ausdruck des Aufbegehrens gegen gesellschaftliche Verkrustungen ist sie entstanden. Die 68er-Bewegung ist zum großen Teil auch musikalisch auf diese Weise bewegt. „Macht kaputt, was Euch kaputt macht" hieß es dann in den 80er Jahren in Deutschland – die atomare Bedrohung im Nacken fühlend. Umso erstaunlicher ist es, dass man den Vorwurf des Faschismus gegen die Rockmusik häufig genug in Stellung bringt. Dieser Vorwurf bezieht sich im wesentlichen auf die große Lautstärke von rockmusikalischen Darbietungen. Gewalt an Ohr und Hirn. Damit wird ein Phänomen herangezogen, das zweifellos vorhanden ist. Aber dieser Vorwurf betrifft nicht nur die Rockmusik.

Musikbeispiel 2:
Anton Bruckner 5. Sinfonie, 4. Satz aus dem Schlusschoral eine Passage

Es ist unbestritten, dass von Musik physische und psychische Wirkungen elementarer Art ausgehen. Musik tut den Menschen immer etwas an, es sei denn, gewisse neuronale Schädigungen liegen vor. Musik berührt. Und dieser Berührung kann man sich grundsätzlich nur schlecht entziehen. Augen kann man schließen, Ohren kann man bestenfalls zustopfen. Es ist nun zu fragen, ob erhebliche musikalische Lautstärke eine Form der Gewalt ist, „die eine Ausübung von physischem oder psychischem Zwang darstellt, die mit dem Ziel verbunden ist, Personen oder Sachen zu schädigen". Diesen Vorsatz wird man nur selten antreffen. Dass man eine Schädigung von Personen billigend in Kauf nimmt, das wird jedoch häufiger der Fall sein.
Aber im Fall der Rockmusik unterstellt man gern, dass diese Musik nicht nur gewalttätig sei sondern auch zur Gewalt gegen Personen und Sachen anstachele. Da ist natürlich etwas dran.

Musikbeispiel 3:
Henrietta Collins And The Wifebeating Childhaters („I have come to kill you")

Diese Deutung stimmt für alle Parolen, die zur Gewalt aufrufen. Das ist jedoch nicht rockmusikspezifisch. Revolutionäre Parolen kennt die Musikgeschichte in vielen Epochen. Und immer wieder wird diesen musikalischen Manifesten unterstellt, sie seien unter Kunstniveau verfasst. Das sagte zum Beispiel Arnold Schönberg gegenüber Hanns Eisler und das wiederholte Heinz-Klaus Metzger gegenüber Luigi Nono. Gewalt ist ein gesellschaftspolitisches Phänomen.

Musikbeispiel 4:
Peter Alexander, Ich zähle täglich meine Sorgen

Ist diese Musik etwa gewaltlos? Nein, die Gewalttätigkeit solcher Musik liegt in ihrer Gemütlichkeit, in ihrer Schläfrigkeit, in dem Einlullen, in dem Befrieden der Ruhestörung. Der Philosoph Ernst Bloch hat diesem Phänomen eine nachdenkliche Stimme verliehen. Er sagte:

Sprecher 1:
„Nur sanft sein heißt noch nicht gut sein. Und die vieln Schwächlinge, die wir haben, sind noch nicht friedlich. Sie sind es nur im billigen, schlechten Sinn dieses Wortes, sind es allzu leicht. Ja, als kleine Kinder ließen sie sich nichts gefallen, diese begehren auf, daß man wunder meint, was es derart mit uns auf sich habe. Aber danach kamen auf zehn Aufstände tausend Kriege, und die Opfer blieben brav. Daneben überall die vielen Duckmäuser, sagen nicht so und nicht so, damit es nachher nicht heißt, sie hätten so oder so gesagt. Leicht gibt sich bereits als freidlich, was mehr feig und verkrochen ist."

Sprecher 2:
Gewalt ist nicht bündig schlecht oder gut. Noch einmal Ernst Bloch:

Sprecher 1:
„So ist Kampf fürs Gute nicht von der gleichen Art Gewalt wie die des Krieges und seiner Herrschaft. Als häufiges Gemisch von Limonade und Phrase wäre Pazifismus nicht das, was er für viele Demokraten zu sein hat: Widerstand der sozial-humanen Vernunft, aktiv, ohne Ausrede."

Keine Musik hintendran