20. Mai 2024 Die Masse lebt

Vom Kommunikationsdiktat zur Blog-Leitkultur

Mit einigem Interesse verfolge ich die aktuelle Blogger-Entwicklung in Berlin. Eine Art Konferenz findet dort statt. Podiumsdiskussionen, Arbeitsläden etc. pp. The Daily Mo berichtet da ganz ausgezeichnet zum Beispiel über Politik – und was man blogläufig davon hält in der Runde. An solchen Stellen wie an anderen empfinde ich ein merkwürdiges Sprachdiktat. Es geht um Kommunizieren (aber streng genommen als einem rein leeren und abstrakten Begriff, der in den häufigsten Fällen noch mit Meinungsmarketing in Verbindung zu bringen ist.) Bei Deleuze lese ich eine Abweichung, die ich lange schon nicht mehr gefunden habe. Er schreibt:

Die Dummheit war noch nie stumm oder blind. Das Problem besteht nicht darin, die Leute zum Reden zu bringen, sondern ihnen leere Zwischenräume von Einsamkeit und Schweigen zu verschaffen, von wo aus sie endlich etwas zu sagen hätten. Die Mächte der Unterdrückung hindern die Leute nicht am Reden, im Gegenteil: sie zwingen sie dazu. … Zur Zeit erstickt man nicht an Störungen, sondern an Sätzen, die völlig uninteressant sind. (Gilles Deleuze, Unterhandlungen 1972-1990, Ffm 1993, S. 188.)

Das Bloggeplapper gehört ebenso in diesen Rahmen wie auch zahlloses Zeitungs- und Zeitschriften sowie Fernseh- und Kinogewese. Diesen Umfangserweiterung (durch Blogs und SMS und Twitter und …) konnte Deleuze gar nicht erahnen. Und erstaunlich kann man über Geplapper auch Kongresse abhalten, die eben genau das reproduzieren was sie selbst produzieren. Living-Blog!

Man stelle sich das vor, Autoren des Mittelalters hätten sich nach Erfindung des Buchdrucks gefunden, um über den Buchdruck zu sprechen. Kann man damit Geld verdienen? (Alles Spreeklick wie fixmbr! schrieb.) Wie gestalte ich einen Umschlag? Was hat Buchdruck mit Politik zu tun? Statt sich darüber zu unterhalten, was man gerade zu forschen sich anschickt. Man muss die Bloggerei eben einfach insgesamt etwas tiefer hängen, tiefer als jene Medien, die weniger je die Form der Äußerung bestimmen. Alles auf dem besten Wege zu einer Blog-Leitkultur: Was ich an re:publicca [sic!] schon gleich gar nicht leiden mag, ist, dass die innere und äußere Form jene Gewöhnlichkeit des Umgangs spiegeln, wie sie auch sonst durch das Nachmittagsprogramm tingeln. Die Live-Blog-Talkshow statt mit Vera eben mit Don D, statt mit Pilawa eben mit Johnny. Statt Christiansen Beckedahl … Da war man in den alten Blogmich-Zeiten schon weiter. Aber erst eine Party im Podium-Style gibt so richtig was her. Ehrlicherweise muss ich mich fragen lassen, warum diese Form der “Wissens”-Nichtvermittlung so erfolgreich ist. Vielleicht ist es einfach ein Hormon, so eine Art Podiums- und Parteitags-Adrenalin. Zur Etablierung des Etablissements gehören solche Spe- oder besser Spreerenzchen und die Markierung von Feldern. So wie einst auch der Klassikbegriff in der Musik entstanden ist. Und am Enden bleiben aus der Vielfalt eben Haydn, Mozart und Beethoven übrig. Dem Ernst angemessen ist schließlich auch die innere Außendarstellung. Es gibt einen Presse!-Spiegel im Wiki, fein sortiert nach Presse und Blog. Und dann wundert man sich? Wie Beckedahl? Gegendarstellung? Zur Sicherheit mal 2? Kann man machen, wenn man sich nur wichtig genug nimmt. Bei netzpolitik.org steht schließlich auch nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Hat schon seinen Reiz, wenn man sich “missverstanden” fühlen darf. Geht mir genauso, nur mache ich da nicht so ein Geschrei drum. Seitenwechsel. Plessner: exzentrische Positionalität. Eine Runde Spazieren kann nicht schaden.

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7 Kommentare

  1. Auf der dritten Ebene
    Auf der dritten Ebene degoutant. Das für mich eigentlich Befremdliche ist, das immer die gleichen Strukturen emergieren, egal mit welcher Technologie und das diese Perpetuierung aus einem fehlenden utopischen Bewusstsein heraus nie reflektiert wird. Ideologie pur, live und gebloggt. – Ich muss meine Aufmerksamkeitshygiene wieder greifen lassen…

  2. meine meinung. danke. die
    meine meinung. danke. die a-liste versammelt sich in berlin. selbstreferenzialität bis zum erbrechen. und wer das deutlich sagt, dem wird unterstellt, neidisch zu sein. besonders schön: “innere außendarstellung.”

  3. Man gibt sich Mühe. Das,
    Man gibt sich Mühe. Das, was in Berlin passiert, ist ja so neu eben auch nicht. Solche Entwicklungen gab es spätestens seit den 80er Jahren an vielen Stellen – im Wissenschaftsbetrieb ebenso wie bei den sog. neuen sozialen Bewegungen. Oder genauer noch bei bestimmten Parteigründungen.

    Die Grünen haben sich genauso professionalisiert, wie es die Berliner für sich in Anspruch nehmen, insbesondere mit dem Adical-Zeug.

    Natürlich ist das alles egal! (…) Jeder soll seine Meinung haben. (…) Muss ja niemand mitmachen. (…) Bloss keine Grundsatzdiskussion (…). Jeder nach seinem Geschmack. (…)

    Ich kann es mir nicht recht erklären, woher diese Stimmen so gänzlich den Zusammenhang von Organisation, Technik und Inhalt abzukoppeln vermögen. Natürlich wird sich was ändern, jeden Tag ändert sich was. Ob “Kommerzialisierung” notwendig mit “Professionalisierung” einhergeht oder das gleiche ist (oder bedeutet oder bezeichnet, man wird ja vorsichtig), wage ich in dieser wie jener Hinsicht zu bezweifeln.

    Das letzte worum es geht, ist das was drin ist. Eigentlich gibt es außerordentlich wenig Blogs, die mehr ausschießen als Worte, wie kommentierend oder kritisch auch immer.

    Das legt mir selbst den Schluss nahe, dass die vermutlich wirklich innovativen, anstoßenden, umstoßenden Blogs tatsächlich bei den Strickerinnen sitzen. Und ich kenne noch ein paar, die tatsächlich auch Blickweisen anstoßen können. Leider (N)nicht so ganz leicht verdaulich. Kein Markt für den Markt. Wozu auch.

    Ich kann mich auch nicht erinnern, dass andere wie Hegel, Platon, Adorno oder Schönberg viel mit Markt zu tun hatten; trotzdem waren die “professionell” (wenn das nicht allein schon anzeigt, wie dümmlich die Rede von einer nötigen Professionalisierung ist.) Und die haben trotzdem produziert.

    Was da mit Berlin passiert und Adical ist einfach schlechter Pop – auch Punk hat sich professionalisiert, jaja. War auch nötig.

  4. Ein paar hundert Leute mit
    Ein paar hundert Leute mit gleichen Interessen sind für einige Zeit von der Straße weg und amüsieren sich miteinander. Selbstverständlich geht es dabei in erster Linie um dieses gleiche Interesse. Dieselbe Art von Selbstreferenzialität wie bei einem Esperantistentreffen (das war ja auch mal politisch gemeint). Was ist daran abzulehnen?

  5. Von wem sprichst du da? Von
    Von wem sprichst du da? Von Fussballfans? Katholikentag? Psychiater-Kongress? Flohmarkt?

    Nein, es war war fast schon ein echtes deutsches Blogger-Konzil. Und der Gegenpapst Don Alphonso saß in seiner Bar. Die anderen irgendwo sonst an der Binnenalster …

    (Gegen Treffen hat doch wohl niemand etwas, was soll man dagegen auch vernünftigerweise haben. Treffen sind gut und wichtig. – Aber es gibt eben Treffen und Treffen; siehe oben.)

    Ich geh mich jetzt schleichen und werde mich morgen auch mit wem treffen. (Begrüßung, dann erwarte ich erstmal eine Key-Note vom Getroffenen, gemeinsames Kaffeeschlürfen, Workshop Trambenutzung und Treppensteigen. Kaffeepause. Pinkelpause. Gesprächsrunde: Wieviel Kaffee verträgt so eine Blase/Niere/Geldbeutel. / Dann fröhliches Schlusswinken an einer Überraschungshaltestelle. Blogdokumentation.)

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