29. April 2024 Die Masse lebt

Provokation, die in Wirklichkeit nur Verklemmtheit ist

Werbung, wenn sie nicht mehr weiß wohin, geht manchen Weg, der ins Nichts oder in die Peinlichkeit führt. So bei einer Firma, die etwas mit Faxnummern macht. Und wie der ZEITGEIST in der Netzzeitschrift zuschlägt, das weiß man jetzt besser. Die selbstzugeschriebene Provokation ist nur besonders blöde Verklemmtheit.

Ich schlage mich mit einer Anzeige in der Zeitschrift t3n herum, die die Braunschweiger Firma ZEITGEIST für eine andere Firma hergestellt hat. In einem Blogeintrag der Firma fragt ein Mitarbeiter sich, wie weit Werbung gehen dürfe. Jean Cocteau hatte dafür einmal die Formel gefunden, wenn ich mich recht erinnere, Takt in der Kühnheit sei, zu wissen, wie weit man zu weit gehen könne.

Nicht die Frage, wie weit Werbung gehen darf ist danach zu befragen, sondern wie weit zu weit. Die ZEITGEISTLER aus Braunschweig haben sich bei der “Anzeige” in der t3n dafür entschieden, etwas “schmuddeliges” zu probieren. Und sie sind stolz darauf.

Okay, ein bisschen schmuddelig finden wir es auch. Stolz sind wir trotzdem darauf. (Facebookeintrag)

Aber, mal abgesehen vom Begriff des Stolzes in diesem Zusammenhang, warum tut man so – schmuddeln? Aber ist das schmuddelig und in welchem Zusammenhang könnte das schmuddelig (unangenehm, klebriger, schmieriger Schmutz – Duden) sein. So lange man mit einer fast nackten Frau und einem anzüglichen Slogan weit geht ist es okay? Eine andere Anzeige mit Katze aus dem Haus ZEITGEIST zeigt ja deutlich an, welcher Geist hier tatsächlich funkt. Es ist das irgendwie Schlüpfrige, das den ganzen Alltag so durchzieht, das man aber nicht an die Öffentlichkeit durchlässt. Und hier dann quasi-pubertär doch. So ein bisschen verklemmt eigentlich, und die Provokation gilt von der Sache den eigenen Eltern.

Mit Provokation hat das ja gar nichts zu tun, sondern eigentlich mit der verklemmter Normalität, die sich selbst in Provokation sieht. Provozierend ist nur, dass das in die Anzeige will und in den Köpfen drin steckt. Und damit ist der andere Punkt der Blödheit erreicht. Denn es geht ja nicht irgend etwas über die Sache hinaus. Schönbergs Orchesterstücke op.16 waren provokant, Strawinskys “Sacre du printemps”, Saties “Socrate”, die Musik von Mingus oder die Bilder von Newman oder Goya. Aber doch nicht diese Anzeige. Es sei denn, Verklemmtheit ist der neueste Schrei in Sachen Provokation.

Bei der t3n war man sich nicht sicher, ob man diese Anzeige bringen solle. Laut Facebookeintrag sollten das die “weiblichen Mitarbeiter” entscheiden und mussten das entscheiden. Die Mitarbeiterinnen hatte man bei der Befragung allerdings vergessen. Aber auch hier stellt sich die Frage, ist so etwas durch Abstimmung zu entscheiden? Schon die Tatsache, dass man die Anzeige zur Abstimmung stellte, zeigt ja an, dass bei irgendwem in der Redaktion ein bisschen gutes Gefühl vorhanden sein musste.

Und ein letztes: Es regt sich niemand mehr über so etwas auf. Um nicht als spießig dazustehen? Und zwar Männlein wie Weiblein? Irgend so etwas muss es sein. Dass man es nicht missverstehe, es geht nicht um politische Korrektheit, aber um eine sinnliche. Und eine Ökonomische zuletzt: Erreicht diese Werbung ihr Ziel? Faxfirma bekannt machen, Kunden zu akquirieren … oder eher nicht: Die einen, die es geil finden, die anderen, die es unsäglich finden, treffen sie sich in der Bilanz der Firma?

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7 Kommentare

  1. Spießer
    Dieser ins Bild gebrachte Herrenwitz auf dem Niveau der “schlüpfrigen” (allein schon DAS Wort) Macho-Witzchen der 50-er Jahre ist weder provokativ noch tabubrechend oder sonstwas. Dass sich die Macher da so pubertär “hrchrchrch-verstehste – ‘schnelle Nummer’ – hrchrchrch” bekichern deutet in der Tat auf eine Verklemmtheit, dass es einen grausen kann. Ich frage mich, was ich schlimmer finde: dass es erwachsene Menschen gibt, in deren Wertesystem sowas als “provokant” durchgeht oder dass das selbe Wertesystem es offenbar gleichzeitig für nötig/hilfreich/zweckdienlich findet, so eine chauvinistische Kinderkacke wirklich in die Welt zu setzen. Ich will nicht zurück in die 50ger, ich bin ja froh, dass ich dort nie war (weil zu jung dafür).

  2. Ich wandel nun schon seit
    Ich wandel nun schon seit einiger Zeit auf ihrem Sammelsurium von Gedanken umher. Da tut sich die Frage in mir auf, was passiert sein muss, dass sie der Gesellschaft so abgeneigt sind. Dennoch sagen mir ihre Artikel sehr zu.
    LG Daniel

    1. Spiegelbild

      Hi Daniel, immerhin. Mich würde interessieren, welche Antwort sie selbst auf die Frage hin vermuten, vorausgesetzt, es wäre so. (Ich würde das ja anders sehen, aber man sieht sich selbst ja bekanntermaßen nicht so gut.)

      1. Ich nehme an, sie sind
        Ich nehme an, sie sind schlicht und einfach enttäuscht von der sturen Dummheit, die sich in vielen Köpfen eingeschlichen hat. Dennoch vermute ich, dass es da einen tieferen Hintergund gibt, den ich nicht ganz verstehen kann.

        1. Ich denke, Sie sind da schon

          Ich denke, Sie liegen damit schon ganz richtig, nach meinem Ermessen. Es geht ja vor allem um den Einschleichprozess. Gewiss, manchmal nenne ich auch Ross und Reiter beim Namen. Doch in der Regel geschieht “Dummheit” nicht als bewusste Wahl, sodern wird eingeübt und bestätigt.

          Ich finde es legitim, wenn es auch Stellen gibt, die dazu weder schweigen und alles so gut finden wie es ist.

          Mit der Gesellschaft verstehe ich mich sonst ganz gut, prinzipiell. Sonst ist da kein tieferer Hintergrund. Man lässt sich so schon so oder so ganz gut von anonymer Macht steuern. Mitmachen sollte man dabei nicht.

          1. Ich bin da ganz ihrer Meinung
            Ich bin da ganz ihrer Meinung. Nur bei dem Thema Dummheit haben wir anscheinend unterschiedliche Auffassungen.
            Ich danke für diese schöne Konversation.
            Daniel

          2. Was würden Sie denn zum Thema

            Was würden Sie denn zum Thema Dummheit sagen wollen, fragt sich der Huflaikhan abschließend?

Kommentare sind geschlossen.