2. Mai 2024 Die Masse lebt

Kunst in den Grenzen der „Demokratie“ von 2018

Es ist schon alles zur Debatte um die Bemalung einer Hochschulwand in Berlin gesagt worden. Könnte man denken. Denn es gibt zahlreiche Kommentare, Polemiken, Diskussionen zur Verwendung eines Gedichts von Eugen Gomringer im öffentlichen Raum.

Leere Wände ins Blaue hinein. Foto: Hufner
Leere Wände ins Blaue hinein. Foto: Hufner

Da geht es um die Interpretation von Texten, da geht es um Vorwürfe wie Zensur oder Kulturbarbarei, da geht es um die Hochschulautonomie etc. Vorweg: Darum geht es jetzt nicht. Der Austausch einer Wandbemalung gegen eine andere ist – jedenfalls gegenwärtig – sicher keine Zensur im engeren Sinn. Sich daran aufzuhängen ist ein bisschen verrückt.

Was interessant ist, ist ja der Vorgang, der a) zur Begründung führte, ein Gedicht als unangenehm für die Betrachterinnen zu sehen (auch darüber muss man nicht streiten, kann man aber) und b) der Prozess, der zur Änderung einer Wandgestaltung führte. Dieser wird nämlich als Prozess der demokratischen Selbstbestimmung aufgefasst. Und nur darum geht es hier in dem Text.

Demokratisches Verfahren mit allen Hochschulangehörigen
[Quelle: Alice Salomon Hochschule Berlin entscheidet sich für die Kunst auf ihrer Südfassade]

Nach der grundsätzlichen Entscheidung, die Fassade der Hochschule neu zu gestalten, wurden Wahlen veranstaltet, gekoppelt mit Vorschlägen für die neue Wandgestaltung. Laut Pressemeldung der Alice Salomon Hochschule haben an diesem Vorgang

„In einer zweiwöchigen Online-Abstimmung im November 2017 gaben insgesamt 1433 von rund 4100 Hochschulangehörigen ihre Stimmen für einen von 21 eingereichten Vorschlägen ab.“
[Quelle: Alice Salomon Hochschule Berlin entscheidet sich für die Kunst auf ihrer Südfassade]

Mit anderen Worten, es kam zu einer Abstimmung an der – je nach Sichtweise – gerade oder immerhin knapp 35 Prozent der Hochschulangehörigen teilgenommen haben. Viel ist es für diejenigen, die sonstige Wahlentscheidungen an Hochschulen kennen. Wenig ist es relativ zur Gesamtzahl. Da bedeutet es, dass es für 65 Prozent der Hochschulangehörigen einfach nicht aktivierend genug war, sich dazu eine Meinung zu bilden. (Krankheiten etc. mal ausgenommen.) Grundsätzlich ist das zwar schade aber nicht zu beanstanden. Wenn man von seiner Mitbestimmungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen will, will man das eben nicht. Vielleicht aber auch war die Beteiligung nicht höher, weil man argwöhnte, dass es eben keine genuin demokratische Entscheidung sein würde. (Spekulation!)

Weiter heißt es:

„Über die beiden Vorschläge mit den meisten Stimmen und über einen – bewusst aus dem Diskussionsprozess heraus entwickelten – Vorschlag der Hochschulleitung wurde im Akademischen Senat ausführlich beraten.“
[Quelle: Alice Salomon Hochschule Berlin entscheidet sich für die Kunst auf ihrer Südfassade]

Hier wird dann neben der Abstimmung über Vorschläge noch über einen zusätzlichen nachgedacht, der aus einem „Diskussionsprozess“ heraus entstand. Der aber wohl nicht zur Wahl stand. Und damit ist zur gleichen Zeit der demokratische Prozess „ergänzt“ worden. Das ist zumindest eigenartig.

„Die meisten Stimmen im Wettbewerb erhielten ein Zitat der Gründerin Alice Salomon mit 215 Stimmen sowie ein Gedicht der Diplom-Pädagogin, Dichterin und Mitbegründerin der afro-deutschen Bewegung May Ayim, die bis 1996 Lehrbeauftragte und Studienberaterin der ASH Berlin war, mit 150 Stimmen.“
[Quelle: Alice Salomon Hochschule Berlin entscheidet sich für die Kunst auf ihrer Südfassade]

Der Vorschlag mit der höchsten Zustimmung war dann der mit dem Zitat der Gründerin Alice Salomons. 215 Stimmen! 215 Stimmen sind gemessen an der Anzahl der Teilnehmer der Wahl 15 Prozent. Oder an der Gesamtanzahl der Abstimmungsberechtigten 5,24 Prozent. Auch das kann, je nach Sichtweise, als eindeutig aufgefasst werden oder als niederschmetternd wenig. Nicht öffentlich bekannt geworden sind die Ergebnisse im Detail.

Wie auch immer man das sehen mag: Eine Entscheidung fiel in dieser Form für das Anbringen eines Zitats von Alice Salomon. Aber die tatsächliche Entscheidung der Hochschule wurde eine andere. Diese konnte durch einen Kniff erreicht werden. Es gab nämlich zwei – angeblich sich ähnelnde – Vorschläge, die die Idee der nebenher eingeführten Idee der Hochschulleitung Rechnung trug, nämlich wechselnd „die Fassade für wechselnde Arbeiten von Poetikpreisträger_innen vorzusehen.“

„Der Vorschlag der Hochschulleitung griff die Herausforderung auf, die Barbara Köhler während der im November 2017 von der ASH Berlin gemeinsam mit dem Haus für Poesie veranstalteten Podiumsdiskussion formulierte: die Freiheit der Kunst neben den Wettbewerb zu stellen und die Fassade für wechselnde Arbeiten von Poetikpreisträger_innen vorzusehen. Auch für den Wettbewerb waren zwei Ideen eingereicht worden, die – in unterschiedlichen Ausführungen – dafür standen, dass auf der Fassade in Zukunft weiterhin wechselnde Arbeiten von Poetikpreisträger_innen zu sehen sein können. Auf diese beiden Vorschläge kamen insgesamt 217 Stimmen.“
[Quelle: Alice Salomon Hochschule Berlin entscheidet sich für die Kunst auf ihrer Südfassade]

Flaschenhals-Demokratie

Die tatsächliche Entscheidung der Hochschule ist also eine Konstruktion. Entschieden haben auch nicht die Hochschulangehörigen, sondern am Ende der akademische Senat der Hochschule. Der ganze Wahlvorgang hatte damit nur Vorschlagscharakter, damit der akademische Senat über zwei / drei Alternativen entscheiden konnte. Wollte man es annähernd demokratisch regeln und die Regelverletzung der Kumulation von verschiedenen Vorschlägen zu einem immerhin hinnehmen, wäre der Fortgang eigentlich gewesen, über die zwei Alternativen erneut abstimmen zu lassen.

Auch repräsentiert der akademische Senat der Alice-Salomon-Hochschule keinesfalls die Verhältnisse der Hochschulangehörigen nach Proportion: Von 13 Mitgliedern sind nur zwei Studentinnenvertreterinnen. Die Profs, das hat sich wahrscheinlich noch nie geändert, stellen in jedem Fall die Mehrheit (also sieben).

Genommen wurde also ein konstruierter Vorschlag, der bei 5,3 Prozent der Hochschulangehörigen und 15,1 Prozent der Wählenden Zustimmung fand. Dabei ist in der Tat nicht einmal entschieden worden, was da nun zukünftig tatsächlich stehen wird – an dieser Fassade. Eine Wahl ins Blaue hinein. Geht so Demokratie? Geht so Transparenz (Wahlergebnisse, Senatsentscheidungen)? Offenbar: ja.

Die Angst vor der “Empörungsmaschine
(Stefan Niggemeier)

Wenn jetzt beispielsweise Stefan Niggemeier twittert:

Sprich: „Eine Hochschule entscheidet sich, ein Kunstwerk am Bau durch andere zu ersetzen – und eine gewaltige Empörungsmaschine springt an:“

so wirkt das etwas verquer. Mag sein, dass Niggemeier auch nur auf den Text in der Zeit verweisen will und das nicht als eigenen Kommentar auffasst. Aber die Frage, ob hier eine „Empörungsmaschine“ anspringt, oder ob sich hier eine wie auch immer erhitzte Diskussion entzündet, muss man schon stellen.

In den letzten Jahren gab es im großen weltpolitischen Rahmen einige Entscheidungen, die „demokratisch“ legitimiert worden sind; mehr oder minder klar – es hängt ja auch von Wahlsystemen ab. Die Wahl des aktuellen amerikanischen Präsidenten war so eine, die Brexit-Entscheidung in Großbritannien war auch so eine. Beide zudem knapp. Beide, so muss man auch sehen, nicht mit Mitteln nötiger Aufklärung derjenigen, die da gewählt haben. In jedem Fall stünde es einem auch in den Fällen Brexit oder Trump nicht zu, sich darüber zu beklagen ohne Bestandteil einer „Empörungsmaschine“ zu werden.

Man kann es auch so sagen: Es gibt auch eine bestimmte Form von demokratischer Diktatur. Ich denke mal, die Entscheidung der ASH als eine demokratisch legitimierte darzustellen, geht fehl. Egal, ob es sich um die Fassadengestaltung handelt oder andere von und in der Hochschule zu entscheidenden Aktivitäten.

Nur mal so eingeworfen.

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