8. Mai 2024 Die Masse lebt

Die Kultur und die Kulturfrage – ein Hotspot-Bumerang

Es ist immer sehr bedauerlich, wenn man zusehen muss, wie hohe Vertreter der Kulturlobby Grafiken und Statistiken gerade so interpretieren, wie es ihnen gefällt. Und dabei sowohl ihre Kompetenz in diesen Bereichen mehr als zur Disposition stellen.

Gestern sind Grafiken und Pressemeldungen aus den Datensammlungen der Luca-App sowohl auf ARD (Tageschau.de) und ZDF (ZDFheute) prominent veröffentlich worden. Hier die Grafik von ZDFheute:

Grafik zur Luca-App. Quelle: zdfheute
Grafik zur Luca-App. Quelle: zdfheute

Diese Grafik kommentiert der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, auf Twitter folgendermaßen:

So ist die (#Corona)-Lage. Kulturveranstaltungen treiben die Pandemie glücklicherweise nicht sehr stark an. (Quelle Twitter)

Nicht viel anders klingt es bei Gerald Mertens, dem Geschäftführer der Deutschen Orchestervereinigung, kurz DOV:

„Was wir schon immer gesagt haben, nun amtlich: #Orchester, #Theater, #Konzert sind gerade keine #Covid_19 #Hotspot|s. @Buehnenverein @DKRKultur @DMusikrat @Konzerthaus_DO @BerlinPhil @FestspielhausBB“ (Quelle Twitter)

Mertens Verweis geht dabei auf die Tagesschau.de-Meldung, die dann den reißerischen Titel trägt: „Bars und Clubs sind Corona-Hotspots“

Die Interpretation wird eingeleitet mit: „Knapp drei Viertel aller Warnungen der Gesundheitsämter in Deutschland, die aus der Luca-App generiert wurden, gingen an Besucherinnen und Besucher von Bars und Clubs. Das geht aus einer anonymisierten Auswertung hervor, bei der mehr als 181.000 ausgespielte Warnmeldungen analysiert wurden.“ Die Clubs sind danach noch einmal besonders üble Hot-Spots. Knapp 50% der Warnungen kamen nach dieser Sammlung von Zahlen von dort.

Datenlage ungewichtet

Allerdings geht aus den ausgegebenen Daten nicht hervor, in welchem Umfang die Luca-App von den einzelnen Institutionen überhaupt genutzt wird. Das ist aber zumindest ohne Erhebung naheliegend: Sie sollte genau bei Clubs, Bars und Restaurants genutzt werden, um eine Zettelwirtschaft der alten Art überflüssig zu machen. Mit anderen Worten, ohne eine Gewichtung, wie stark die einzelnen „Kategorien“ überhaupt Daten liefern, lässt sich gar nicht ermitteln, in welchem Verhältnis die Meldungen zueinander stehen. Absolute Zahlen sind hier gewiss interessant, aber nicht aussagekräftig. Da es sich zudem um eine freiwillige App handelt, wird man von „amtlichen“ Ergebnissen, wie sie Mertens suggeriert, gar nicht sprechen können.

Sonst kann man auch mit gleichem Recht aus der Grafik herauslesen, dass Outdoor-Veranstaltungen gefährlicher sind 1,1% als Indoorveranstaltungen 0,9% – in Sachen Kultur. Damit wäre die die Idee der Draußenstadt ebenso hinfällig. Diesen Schluss sollten Zimmermann und Mertens dann ebenso ziehen.

Kategorien nicht trennscharf

Dies führt zum nächsten und vielleicht viel übleren Fehler, den der Kategorien-Zuordnung. Wenn Zimmermann von Kulturveranstaltungen spricht, was meint er damit? Dazu gleich. Was Mertens meint, ist klar: Orchester, Theater, Konzert. Die Tagesschau-Meldung dagegen zählt auf: „Theater, Museen und Kultureinrichtungen“ und in der ZDF-Grafik steht: „Theater / Kultur / Museum“. Was ist also überhaupt mit der Kategorie „Fest / Festival (draußen)“ – gehört die nicht dazu? Warum ist sie zweitens sogar „gefährlicher“.

Kultur-Bumerang

Ein heilloses Durcheinander der Begriffe und Zuordnungen. Das Problem hört ja bei der Bezeichnung und Zuordnung nicht auf, sondern fängt da gerade an. Die gewählten Begriffe sind überhaupt nicht immer trennscharf und daher drittens und schlimmstens: Warum zählt man „Clubs“ nicht oder nicht mehr zur „Kultur“?

Das ist eine Bratwurst. Foto: Hufner
Das ist eine Bratwurst. Foto: Hufner

Wir, aber vielleicht nicht alle, erinnern uns an eine Entscheidung des Deutschen Bundestags vom Mai.

„Am 07. Mai 2021 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, dass die Baunutzungsverordnung von der Bundesregierung so angepasst werden soll, dass Clubs und Livespielstätten mit nachweisbarem kulturellen Bezug nicht mehr als Vergnügungsstätten, sondern als Anlagen für kulturelle Zwecke definiert werden.“ (Quelle: Clubcommission-Website), aber auch direkt auf Seiten des Bundestags oder hier in der etwas leichter zu lesenden Analyse des Spiegel).

Wenn dem aber so ist, dann lieber Herr Zimmermann und lieber Herr Mertens, stimmt gerade nicht, was sie aus der Grafik oder dem Tagesschau.de-Text herauslesen. Im Gegenteil: Dann wird plötzlich Kultur zum Treiber der Pandemie. Zack, ein Bumerang. Es sei denn, natürlich, Clubs zählten nicht zur Kultur: Elektronische Tanzmusik, Jazz, Independent, Pop, Rock, etc. – so vieles spielt davon in Klubs. Gildet nicht?

Wenn man aber nichts genaues nicht weiß, was weiß man dann. Und wenn man nichts weiß, warum bläst man sein Nichtwissen dann so heraus.

 

 

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