2. Mai 2024 Die Masse lebt

Der Relevanzmonitor und die Bereithaltungskultur

Die Ergebnisse des Relevanzmonitors sind erst vor wenigen Tagen vorgestellt worden und schon geht das Rätseln los. „Kultur“ gilt als wichtig, aber aktiv an ihr partitzpiert wird eher nicht. Warum ist das so. Und warum ist das nicht unbedingt eine schlechte Nachricht, sondern nur eine triviale und banale.

So heißt zwar:

Den Menschen in Deutschland (91 Prozent) ist es wichtig, die kulturellen Angebote in Theaterhäusern für kommende Generationen zu erhalten. Eine große Mehrheit (76 Prozent) ist zudem der Meinung, diese sollten weiter mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. (Quelle)

Ich empfinde das als außerordentlich positives Ergebnis. Kultur als eine Art Bereithaltungsaufgabe der Gesellschaft. So wie man es sicher auch gut findet, wenn es medizinische Institutionen gibt, die Stroke Units bereithalten oder Notärzt:innen oder Magnetresonanztomographen, auch wenn man die nicht tagtäglich „nutzt“. Denn auf der anderen Seite sieht es nämlich so aus. Laut Umfrage.

Eine Diskrepanz entsteht jedoch zwischen dem einheitlichen Wunsch nach Kulturerhalt und dem tatsächlichen Interesse und der Nutzung der Angebote. Sowohl in der gesamten Bevölkerung als auch in der Generation der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren interessieren sich zwei Drittel gar nicht oder weniger stark für Theateraufführungen, klassische Musikkonzerte, Oper-, Ballett- und Tanzaufführungen. Vier von fünf Befragten gaben an, klassische Angebote wie diese in den letzten zwölf Monaten gar nicht wahrgenommen zu haben. (Quelle)

Punkt!

Leider konnte ich mich mit der Methodik der empirischen Untersuchung nicht eingehender auseinandersetzen. Zum Beispiel auch nicht mit der Frage, wann die letzten 12 Monate angefangen haben und wann sie endeten. Denn, wir erinnern uns doch hoffentlich noch, es gab und gibt eine Virus-Pandemie, die den Zugang zu kulturellen Angeboten, wie sie oben skizziert wurden, ein wenig eingeschränkt haben. Ferner wäre es eine Frage wert, welches Kulturangebot die Umfrage abgedeckt hat, wenn sie auf „klassische“ Angebote abzielt. All das müsste man (also ich) mal nachsehen.

Eine Grafik, die die Mitteilung des Liz Mohn Centers schmückt gibt aber erste Hinweise.

Interesse an verschiedenen Freizeitangeboten in Deutschland.
Interesse an verschiedenen Freizeitangeboten in Deutschland. (Quelle)

Nur in Sachen Kino/Film-Vorführungen, nicht-klassischer Musikkonzerte und Freizeitparks liegt die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen vorn. Interessant in dem Zusammenhang auch, mit welcher Emphase man in den anderen Bereichen der Kultur bloß nicht als Freizeitbeschäftigung wahrgenommen werden wollte, um bei den Corona-Verordnungen ins richtige Sofort- oder Gleichehilfe-Kästchen zu kommen. In dem Zusammenhang ist es fast ironisch, dass man hier von einem Relevanzmonitor bei der Umfrage spricht. Hier tut sich eine Missverhältnis zwischen Eigenwahrnehmung des Branche und der Wahrnehmung der Interessierten auf! Diese präferieren implizit offenbar deutlich den Freizeitcharakter von Kultur. (Und darüber sollte man in der Tat mal ernsthaft nachdenken!)

Grundsätzlich verwundert dieses Ergebnis daher nicht. Was wäre denn zum Beispiel, wenn es anders wäre. Oder genauer gefragt: Wie viel Bedarf könnten denn die klassischen Angebote überhaupt abdecken – oder noch anders: Wenn es nur drei von fünf Befragten wäre, die angeben würden, sie hätten Angebote in den letzten zwölf Monaten gar nicht wahrgenommen, hätte da das Angebot überhaupt ausgereicht (in Sachen Museum, Bibliothek wäre die Skalierung einigermaßen möglich, aber ein Theater ist dann voll, wenn es voll ist und die Arbeitszeit der dort Angestellten wäre ja auch nicht beliebig verlängerbar – ausverkauft ist ausverkauft).

Anm: Das ist ja beim Öffentlichen Personennahverkehr auch nicht anders. Jedenfalls nicht in dem Zustand, in dem er sich gerade befindet.

Reichlich an der Sache vorbei geht daher auch die Frage, ob man da mit Marketing etwas unternehmen könnte. Aus Biographiestudien weiß man genau wie der Weg zur „Hochkultur“-Teilnahme geht und auch wie er gerade nicht geht. Man wird mitgenommen, man wächst in das Milieu hinein. Übersprünge sind relativ selten. Wenn sie denn stattfinden, dann finden sie eher im Breitenkulturbereich statt – also beim generationsübergreifendem Chorsingen in der Kirche und dem Verein (und überhaupt in Musikvereinen auf dem Lande). Aber an genau diesen Stellen kann auch viel versemmelt werden. Musiklehrer:innen, die Schwellen aufbauen etc.

Kultur will gelebt sein (aktiv und passiv). Innergemeinschaftlich, innerfamiliär, innerhalb von Peergroups etc. Deswegen gibt es ja in anderen Kulturen, die weniger institutionalisierte Theater haben, nicht weniger Kulturleben. Es ist da nur anders traditionell gebunden. Von Mensch zu Mensch. Nicht von Marketing zu Mensch.

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