Kritische Masse

amt für vermassungsschutz

Medien- und Politikgruft Deutschland

Für gewöhnlich vermeide ich es längst, Sendungen aus dem Bereich der sogenannten Talkshows mir anzusehen. Weil die einfach nur zum Ausrasten sind. Gestern tat ich mir aber eine neue Folge von Lanz an. Denn zu Gast war eine Juristin: Frauke Brosius-Gersdorf. Sie war es, die letzten Freitag auf der Vorschlagsliste zur Nachbesetzung des Bundesverfassungsgerichts vorgeschlagen wurde und die in einer Kampagne mit bislang ungekannte Schärfe, Heftigkeit und von Fehlinformationen durchzogen in Misskredit gebracht werden sollte, so dass sich die Parlamentarier des Deutschen Bundestages nicht für sie entscheiden sollten. Das Manöver ist gelungen. Die Wahl wurde zunächst abgeblasen. Ob und in welcher Form sie wieder aufgenommen wird, steht bisher nicht fest.

Fest aber steht, dass diese Aktion offenbart, in welch schlechtem intellektuellen und menschlichen wie politischem Zustand sowohl zahlreiche gewählte Parlamentarier:innen, Funktionsträger:innen und Medienleute sich befinden.

Bei Lanz hat der Moderator allein der Juristin gegenüber gesessen und Fragen gestellt, die nicht selten seltsam suggestiv gewesen sind. Offenbar wurde dabei, dass der Moderator von der Materie selbst, der Rechtswissenschaft, sehr wenig Ahnung hat und somit nur Aufgeschnapptes wiederholt hat, was man ihm auf die Zettel geschrieben hat. Es ist nicht das Problem, dass der Moderator keine Ahnung hat, das ist ja der Normalfall, der Moderator darf nur nicht so tun, als bewege er sich auf einer intellektuellen Augenhöhe mit seinem Gesprächspartner. Das ist eine Kunst, die über viele Jahre jemand wie Alexander Kluge beherrscht hat – mit dem Unterschied, dass Kluge meistens jedoch sogar grundsicher informiert war. Nur deshalb konnte Kluge auch überhaupt so sicher fragen. Er will etwas vom Gegenüber wissen.

Die Unerträglichkeit der Wissenschaft

Mindestens noch schlimmer sind die Reaktionen auf die haltlosen Vorwürfe gegen die Juristin vonseiten des Parlaments aus den Reihen von CDU und CSU. Jens Spahn sagt

“Die Dimension der grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken gegen eine der Kandidatinnen haben wir unterschätzt.” (Jens Spahn)

Nur dass da längst alle „Bedenken“ ausgeräumt waren, die zudem nicht inhaltlich fundiert, sondern fast durchweg erfunden und haltlos waren. Man könnte jetzt auch sagen: Die Bedenken seien ausgeräumt. Jetzt sollte es mit der Wahl klappen.

Denkste!

Auf der Kandidatur der umstrittenen Juristin als Richterin am Bundesverfassungsgericht liegt kein Segen, sagte Bayerns Ministerpräsident Söder nach einer Sitzung des CSU-Vorstands in München. Deshalb solle die SPD überlegen, ob sie daran festhalten will. Das Bundesverfassungsgericht sei weiterhin handlungsfähig, die SPD könne sich daher bis Herbst Zeit lassen, um einen zweiten Vorschlag zu präsentieren. “Da ist mit dem Kopf durch die Wand nicht der richtige Weg”, so Söder. (BR24)

Verkehrung der Umstände. Es wäre sicher eher angebracht, dass die CDU/CSU ihre mit intellektueller Minderbemitteltheit ausgestatteten Parlamentarier austauscht, die weder genügend Kenntnisse haben, die Entscheidungen des sogenannten Richterausschusses des Deutschen Bundestages zu verstehen, der ja die Juristin vorschlug, noch haben sie genügend kognitive Fähigkeiten, Lügenkampagnen nicht auf den Leim zu gehen. Es ist geradezu beschämend, wie dumm man sein darf und wie bösartig zugleich, und trotzdem im Parlament zu sitzen und politische Entscheidungen zu treffen.

Gewissen ersetzt WIssen

Wenn man denkt, es kann nicht mehr schlimmer kommen, kommt noch eine Ministerin der CSU daher und redet etwas von Gewissen. Doro Bär:

“Wir haben lauter mündige Abgeordnete, und wenn die sagen, ich kann mit meinem Gewissen Frau Brosius-Gersdorf nicht wählen, dann akzeptiere ich das, dann respektiere ich es und dann erwarte ich aber auch von der Kandidatin, dass sie mal für sich selbst überlegt, ob sie die Richtige ist”, sagte die CSU-Politikerin in der ARD-Talkshow “Maischberger”. (Börse Frankfurt)

Haben wir eben nicht. Es sei denn, man verstehe unter mündigen Abgeordneten Menschen, die Argumenten und Tatsachen gegenüber völlig resistent sich zeigen. Und wenn diese dann mit „ihrem Gewissen“ nicht jemanden wählen können, könnte es auch sein, dass das Gewissen bei juristischer Erkenntnis besser keine Rolle spielen dürfte (sondern Wissen!). Das gilt übrigens auch für Fragen einfacher Logik. Vielleicht sollten sich diese Abgeordneten eher fragen, ob das Parlament der richtige Ort für sie ist.

Endlose Dummheit

Man könnte hier Statement für Statement anhängen, wie Sigmar Gabriels Vorwurf, die Juristin würde nun durch Talkshows tingeln und ihr Amt (welches eigentlich?) missverstehen. Oder im Tagesspiegel ein Johannes Altmeyer, der der Juristin vorwirft, die Sache durch ihre Verteidigung, die ja nur eine öffentliche Klarstellung war, zu verschlimmern.

Statt zurückzurudern und sich einzugestehen, dass man einer von rechtsaußen arrangierten Kampagne “zum Opfer” gefallen ist, wirft man dem Opfer dieses Mobs auch noch, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Ich kann der Juristin nur empfehlen, alle Mittel des Rechts auszunutzen, um gegen Verleumdung, übler Nachrede und Bedrohung etc. vorzugehen. Sie wird schon wissen, was man jetzt tut.

Es ist wirklich zum Verzweifeln, aber leider die neueste Methode, gegen wissenschaftliche Forschung und Erkenntnisse nicht mehr mit Mitteln weiterer Forschung und weiterer Erkenntnisse zu besserer Forschung und neuen Erkenntnisse zu gelangen, sondern Forschung und Erkenntnis insgesamt für erledigt zu erklären.

Wenn es mit dem Wissen hapert, kaspert man was von Gewissen und toppt das Ganze dazu noch eine Prise “Gefühle” und Befindlichkeit obenauf.

Das Problem der Inkompetenz

Inkompetenz gab es früher auch wie heute. Allerdings hat sich die Inkompetenz nicht in dieser Breite aufgestellt und die Diskurse dominiert. Heute wird Inkompetenz belohnt, Wissenschaft verdammt und delegitimiert. Mit Erfolg, wenn man es dabei belässst. Zahlreiche Abgeordnete aus der Fraktion der CDU/CSU übernehmen dabei längst eine Brückenfunktion zum rechten Rand. Ebenso Medien, die nach wie vor Leuten eine Plattform bieten, die sie von fachlicher Qualität her nie hätten, wie sie eben aktuell von Publikation aus dem rechten Spektrum wie WELT, NZZ, Cicero und von Desinformationsschleudern wie NIUS, Tichys Einblick und Co. betrieben werden.

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