17. Mai 2024 Die Masse lebt

1813 – Dr. Hufner analysiert: Beethoven, Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria op. 91

Quirinus sagte in seinem Beitrag „Roll over Baghdad”, dass “auch Beethoven und andere hehre Herren … Soundtracks zum Krieg geschrieben” hätten. Dabei verweist er auf Beethoven op. 91: Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria. Das ist sicherlich nicht falsch. Aber es ist auch nicht ganz richtig. Ich erinnerte mich, einmal eine Einführung für dieses Stück geschrieben zu haben. 1997 war das für ein Programm der Hamburger Staatsphilharmonie. Ja, die haben das gespielt und es wäre ein Unsinn gewesen, hätte das Programm nicht etwas anderes dazu zu bieten gehabt, um es einzubetten. Davor gabs das „Vorspiel zu den Meistersingern von Nürnberg” von Wagner, danach Hanns Eislers “Deutsche Sinfonie” (1930-1958) — bei Gelegenheit werde ich die entsprechenden Einführungen auch hier veröffentlichen.

Als Kind hat mit diese Komposition Beethoven richtig imponiert. Denn, wie Quirinus sagt, es ist tatsächlich etwas wie Filmmusik, sogar wie Soundtrack; ich würde es heute als musikalischen Comicstrip sehen. Vom kompositorischen Standpunkt her ist das Stück ziemlich langweilig, vielleicht sogar öde — aber patriotisch. Nun musste ich mich damit auseinandersetzen. So etwas kann man schlecht schreiben für ein Programmheft. Statt der Musik ist jedoch die Entstehung und Funktion des Stück, welches man in den Vordergrund stellen sollte.

Zum einen: Es gehört zu einer ganz frühen Sorte von Live-Aid-Stücken, eigens für eine "wohltätige Veranstaltung” zugunsten verwundeter bayerischer und österreichischer Soldaten. Die Uraufführung wurde sensationell empfunden. Der Beethoven-Biograph Paul Bekker benannte den Erfolg mit den Worten: „Einmal im Leben hatte er es verstanden, aktuell zu sein.“ Beethoven war mit einem Schlag populär. Dann gehört zu dem Konzert das Aufgebot aktueller und bekannter sowie beliebter Komponister der Zeit, darunter zum Beispiel Spohr, Schuppanzigh, Romberg, Mayseder und Dragonetti. Salieri dirigierte hinter der Szene, Hummel und Meyerbeer standen an den Pauken, Moscheles war an den Becken und Beethoven selbst dirigierte alles zusammen.

Etwas weiteres ist bemerkenswert: Den Vorschlag für eine solche Komposition machte Johann Nepomuk Mälzel, der eine Schlachtbeschreibung für eine seiner Musikmaschinen, ein Panharmonikum bestellte und den programmatischen Ablauf anhand der Schlacht bei Vittoria entwarf. Auf Anraten Mälzels übertrug Beethoven das Material auf ein Orchester; Mälzel erhoffte sich davon einen guten Werbeeffekt. Eine Hand wäscht die andere, sozusagen. Beethoven war kein schlechter Geschäftsmann, so sehr er uns als wuseliges, unglückliches Genie mit gewisser Duchgeknalltheit auch bekannt ist.

Paul Bekker hat die Sache richtig gesehen. „Einmal im Leben hatte er [Beethoven] es verstanden, aktuell zu sein.“ Das Werk fiel in ein Zeitgefühl hinein. Ein Blick nach vorn op. 90, die wunderschöne Klaviersonate in e-Moll, und nach hinten, op. 92, die 7. Symphonie in A-Dur lässt erahnen, wie viel seiner musikalsichen Poetik hier fallen mussten, nur für den Zweck des bloßen Effekts.

Jetzt die Werkeinführung im Detail:

Ludwig van Beethoven: Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria op. 91
Musikalischer Triumph über Napoleon

„Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria“ ist ein Gelegenheitswerk Ludwig van Beethovens. Den Vorschlag für eine solche Komposition machte Johann Nepomuk Mälzel, der eine Schlachtbeschreibung für eine seiner Musikmaschinen, ein Panharmonikum bestellte und den programmatischen Ablauf anhand der Schlacht bei Vittoria entwarf. Auf Anraten Mälzels übertrug Beethoven das Material auf ein Orchester; Mälzel erhoffte sich davon einen guten Werbeeffekt. Am 8. Dezember 1813 schließlich kam es in Wien zur sensationellen Uraufführung des Stückes in einem „wohltätigen“ Konzert zugunsten verwundeter bayerischer und österreichischer Soldaten, bei dem zahlreiche bekannte Musiker mitwirkten, darunter zum Beispiel Spohr, Schuppanzigh, Romberg, Mayseder und Dragonetti. Salieri dirigierte hinter der Szene, Hummel und Meyerbeer standen an den Pauken, Moscheles war an den Becken und Beethoven selbst dirigierte alles zusammen. Der Erfolg der Aufführung muß ungeheuer gewesen sein. Es folgten alsbald weitere Aufführungen. Beethoven konnte seine eigene Kasse erheblich aufbessern und wurde weit über seine bisherigen Kreise hinaus bekannt. Mit Mälzel stritt er sich allerdings noch jahrelang um die Einnahmen aus den Folgekonzerten. Der Beethoven-Biograph Paul Bekker benannte den Erfolg mit den Worten: „Einmal im Leben hatte er es verstanden, aktuell zu sein.“ Beethoven war mit einem Schlag populär. Freilich darf man sich die Frage stellen: zu welchem Preis?

Die Musik selbst bedarf kaum einer Erklärung, denn sie orientiert sich in starkem Maße am direkten Geschehen, welches abgebildet werden soll, heute würde man sagen: wie in einem musikalischen Videoclip. War noch in der sogenannten Pastoral-Symphonie, der sechsten, Programmmusik im Sinne einer poetischen Durchformung gedacht, ist hier die Musik konkret bildlich: Aufstellung zur Schlacht mit zwei Musik-Heeren, die Schlacht selbst und dann die Siegestriumphmusik mit der Verherrlichung der Engländer durch das Spielen der englischen Hymne „Rule Britannia“. Dabei kommt einige Kunstfertigkeit zustande durch den Einsatz von Variationen und einem Abschlussfugato. Dennoch handelt es sich eher um insgesamt grobe Arbeit, der man die Herkunft aus einer Musikmaschine anmerkt.

Diese Musik, in der Napoleon quasi musikalisch besiegt wird, konnte so erfolgreich sein, weil sie die politische Situation zum richtigen Zeitpunkt aufgriff. Die Schlacht bei Vittoria, einem Ort im Königreich Spanien, etwas südlich von Bilbao am Rande der Pyrenäen gelegen, am 21. Juni 1813 markiert dabei nur einen historischen Augenblick der Zurückdrängung Napoleons, die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober stellte den großen Sieg gegen ihn dar. Erst aus diesem politischen Zusammenhang heraus wird der Erfolg der Komposition begreiflich. Napoleon war endgültig zurückgedrängt worden. Der daraus resultierende Hurra-Patriotismus bereitete der günstigen Rezeption dieses Stücks den Boden. Mit dem Abklingen des aktuellen Ereignisses schwand aber auch seine Popularität.
[Martin Hufner]

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13 Kommentare

  1. Das klingt eher nach

    Das klingt eher nach Frauenarzt denn nach Entwicklungshelfer. Dennoch sind Sie von jeder Erstgeburt weit entfernt, Herr Dr. Hufner –
    vermeldet klassenlos aber pflichtversichert

    zwanglos ihr geissler

  2. Auch hier noch einmal

    Auch hier noch einmal schönen Dank, Dr. Hufner. Ich höre sie gerade, die Beethovensche Schlachtenmusik, und finde sie trotz des veraltet erscheinenden musikalischen Materials beklemmend aktuell.

  3. Ich denke, Beethovens

    Ich denke, Beethovens Komposition Opus 91 war so stark in seinen historischen Kontext eingebettet, dass es nur ganz wenige geschafft haben das Stück aus einer anderen Sichtweise zu betrachten, als nur eine Glorifizierung der Schlacht. Zwar prägen die ersten 7-8 Minuten den Gesamteindruck, aber dennoch sollte man dem Schlussteil genauso scharf zuhören. Letztlich drückt sich für mich eine gewisse Zwiespältigkeit aus, die sich in der Frage manifestiert, ob Beethoven wirklich nur die Schlacht und den Triumph der Engländer hervorheben wollte, oder ob es eher die Freunde über den Untergang Napoleons war, der sich zu Beethovens Enttäuschung gegen die Grundsätze der französischen Revolution gewendet hatte. Einfach, aber widersprüchlich wäre zu sagen, dass diese beiden Thesen einen Zusammenhang bilden und ineinander übergehen, denn betrachte man einmal die Folgen eines Krieges, die Verluste, die Toten, die zurückgelassenen Familien, stellt sich die Frage, ob man überhaupt einen „gewonnenen“ Krieg feiern kann ?
    Für mich bleibt diese Fragestellung offen und ich werde mich vorerst mit Lösung „Zwiespaltigkeit“ abfinden, wobei ich trotzdem stets auf der Suche bin nach einer eindeutigeren Antwort. Vielleicht ist es sinnvoll für den Verstehungsprozess sich doch noch einmal die historischen Hintergründe und Beethovens Lage zur damaligen Zeit zu vergegenwärtigen. Beethoven befand sich in einer finanziellen Misere und so kam ihm das Angebot von Johann Nepomuk Mälzel gerade recht, der ihm einen bereits vorgefertigten Kompositionsplan vorliegte und Beethoven für dessen Auskomponierung auswählte. Meiner Meinung nach waren Beethoven dadurch schon ein großer Teil seiner Freiheiten in diesem Werk genommen, dennoch war mir klar, dass seine Genialität auch hier einen Weg finden würde, die Komposition in der Weise zu gestalten, wie es seinem Empfinden nach entsprechen sollte. Nun sollte man bedenken, das Beethoven ein ganz besonderes Verhältnis zu Napoleon hatte und aus dem ehemals „verehrten“ ein „verarchteter“ wurde, ein Herrscher der sich selbst zum Kaiser ernannt hatte und seine Machtausübungen in aller Breite auslebte. All dies würde dem Bild der Verherrlichung, des „Abklatsches“ einer Schlacht, des Triumphes zustimmen, aber tut es das ? Warum dann dieser zweite Teil seiner Komposition ? Warum erklingt die Hymne der Engländer „God save the Kind“ so zart und zurückhaltend und wird zum Schluss gnadenlos vom Orchester niedergespielt. Letztlich bleibe ich also bei meiner Entscheidung auch wenn mich diese Verworrenheit nicht ganz befriedigt.

  4. Ich entschuldige mich

    Ich entschuldige mich hiermit für die Rechtschreibfehler an einigen Stellen, aber ich hatte nicht sehr viel Zeit und musste schnell tippen.
    Hoffentlich stört euch das nicht zu sehr beim lesen.

    Anbei möchte ich den 13er LK vom Humboldt-Gymnasium in Köln grüssen!

    bis bald

  5. Lukas, danke für diese

    Lukas, danke für diese Sicht. Du schreibst da zum Beispiel:

    „stellt sich die Frage, ob man überhaupt einen „gewonnenen“ Krieg feiern kann ?
    Für mich bleibt diese Fragestellung offen und ich werde mich vorerst mit Lösung „Zwiespaltigkeit“ abfinden, wobei ich trotzdem stets auf der Suche bin nach einer eindeutigeren Antwort.“

    Ich bin da leider historisch nicht so bewandert, es mag sein, dass es nicht der Sieg war sondern ein Freude über die Niederlage. „Gewonnene“ Kriege kann man und sollte man nicht feiern. Dafür gibt es keinen einzigen guten Grund.

    Und was die Suche nach eindeutigen Antworten angeht, so wichtig sind sie in diesem Zusammenhang nicht. Ich kann zumindest mit Mehrdeutigkeiten sehr gut leben – vielleicht sogar besser.

    Den Grüßen schließe ich mich mal, unbekannterweise, an. Seid ihr ein Musik-Leistungskurs? Also, wenn ich mal so dumm sein darf, dann möchte ich in diesem Zusammenhang sagen, Hut ab. Das scheint mir in Köln am Humboldt-Gymnasium eine gute Truppe zu sein.

  6. Erst einmal vielen Dank für

    Erst einmal vielen Dank für ihr Kommentar Harry und die Antwort auf ihre Frage lautet: „Ja“, wir sind ein Musik LK. Nebenbei habe ich mich mit meinen Eltern über dieses Thema unterhalten und bin ähnlich ihrer Ansicht, zu dem Entschluss gekommen, dass die Mehrdeutigkeit wohl doch das Aufregendste an diesem Stück war und immer noch ist. Der Text ist übrigens entstanden durch eine Hausaufgabe unseres Lehrers. Nachdem wir uns mehrere Unterrichtsstunden mit der Komposition beschäftigt hatten, sollte jeder ein abschliessendes Fazit verfassen, indem die Überlegungen aus dem Unterricht ein letztes mal verbessert und geordnet werden sollten.

    Hier die Homepage von unserem Lehrer:
    http://www.klausriedel.de.vu
    Unsere Projekte, Texte usw. findet ihr unter dem Bereich „Humboldt-Gymnasium Köln

    Fachbereich Musik“ und dann auf den Link „Unterricht“ klicken!
    Außerdem hab ich noch die endgültige Fassung meines Fazits als Worddokument hochgeladen. Diese findet ihr unter:
    http://www.palejustice.org/

    mfg Lukas

    PS: Tut mir leid, dass ich erst so spät geantwortet habe, aber ich hatte erst garnicht damit gerechnet, dass sich jemand mein Kommentar durchlesen würde. Da war ich doch recht überrascht!

  7. Danke vielmals, Lukas.

    Danke vielmals, Lukas. Natürlich lese ganz gewiss ich die Kommentare durch. Und wer sich so viel Mühe gibt, Zeit nimmt und Anregungen verteilt, der wird unweigerlich gerne gelesen.

  8. Hallo, ich hoffe hier wird

    Hallo, ich hoffe hier wird mir geholfen:
    ist das richtig, dass Beethoven die Eroica Napoleon gewidmet hat, aber nach der Schlacht bei Austerlitz ein Napoleonverachter wurde? Es soll zu dieser neuen Verachtung ein Zitat Beethovens geben. Dieses suche ich schon lange. Kann mir da jemand helfen?

    lena

  9. Hallo Iena, bekannt ist mir

    Hallo Iena, bekannt ist mir der Ausspruch Beethovens, als er von der Kaiserkrönung erfahren hatte und daraufhin die Widmung der „Eroica“ an Napoleon zurückzog, indem er das Titelblatt zerriss: „Ist der auch nur ein gewöhnlicher Mensch? Jetzt wird er alle Menschenrechte mit Füßen treten und ein Tyrann werden!“ Das war 1804.
    Günter aus Hamburg

  10. Mohoin! dange dass hier mal

    Mohoin! dange dass hier mal was gutes über das ding steht ich mussn refe drüber schreiböööön xD

  11. hallo, kann mir jemand

    hallo, kann mir jemand sagen, warum gerade die schlacht von vittoria aus der Romantik war? wäre lieb, danke! lg

  12. Bemerkung
    Bei dem in der Schule genossenen Leistungskurs handelt es sich, wenn ich mir die Orthographie verschiedener Beitragsschreiber anschaue, nicht um das Fach Deutsch/Germanistik!

    Beste Grüsse!

  13. Mr. Gast
    Da muss ich mich und die sonst hier Worte Ablassenden aber in Schutz nehmen. Im Leistungskurs Deutsch (Germanistik gab es zu meiner Zeit noch nicht) lernte man meines Wissens keine Rechtschreibung mehr. Auch an der Uni nicht.

    Und der Autor, der es nicht beschönigen will, hat leider in seiner Abitursklausur leider einen Notenpunkt Abzug erhalten wegen schlechter Rechtschreibung. Noch heute finde ich das nicht berühmt. Eher Käse.

    Bitte daher um Nachsicht. Gefallen tut mir das auch nicht.

    Steigen Sie bitte gerne in die fachliche Diskussion ein, wenn Sie mögen.

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