8. Mai 2024 Die Masse lebt

Homeoffice im Homeoffice / Kramladen / Veggie-Music

Ich finde, schon vor sechs Jahren habe ich einigermaßen korrekt auf Dinge hingewiesen, die erst später ihre komplett durchgeknallte Dynamik entwickelt hat.

Besorgte Gesetzeshüter, Bürger und Hörer also, wohin man sieht. Persönliche Befindlichkeiten werden hochgekocht. Die Nerven liegen blank. Das ist alles schon schlimm, aber was wäre die Alternative? Soll man wieder Zensoren einstellen, die alle Stoffe auf ihre Wirkung hin abfragen und im Zweifel die künstlerischen „Bomben“ und „Blindgänger“ entschärfen? Der Musikphilosoph Heinz-Klaus Metzger schrieb 1961 in dem Artikel „Über die Verantwortung des Komponisten“: „Kunst ist weder Nährmittelproduktion noch Verkehrstechnik noch Medizin. Ihre Domäne ist nicht Verantwortung, sondern Frivolität.“ Diese jedoch wird zunehmend eingeengt, weil sich zunehmend immer mehr Menschen durch Kunst verletzt fühlen. Mimosen allüberall. Wo ist eigentlich die entspannte, kontemplative, kritisch-aufgeweckte, humorvoll-freundliche und libidinös-aktive Haltung der Kunst gegenüber hin?

Es geht zwar in der Kunst immer um Leben und Tod, aber es ist doch nur Kunst, die bringt normalerweise keinen um, höchstens beleidigt sie einmal unsere Dummheit oder Intelligenz. Eine Backwarenfachverkäuferin aus der Schorfheide hat das wunderbar pragmatisch auf den Punkt gebracht. Gefragt nach dem Geschmack eines Veggie-Brotes, antwortete sie: „Das schmeckt auch gut mit Leberwurst.“ (Veggie Music in der nmz 2027/03)

Das Einzige, was mich daran stört, ist, dass ich mir im Moment nicht vorstellen kann, jemals wieder so klar und akkurat formulieren zu können. Ich glaube schon, dass meine beste Zeit leider deutlich hinter mir liegt. Und es ist mir fatal, das miterleben zu müssen. Mir hat Sprache immer große Freude gemacht. Auch heute noch, wenn ich die Zeit dazu finde, kann ich an Texten schrauben und drehen, dass von Anfangsformulierungen nicht mehr viel übrig bleibt – wenn ich die Zeit dazu finde, nicht nur Gedanken niederzulegen, sondern sie ausgehfein zu machen. Und dann merke ich, wie das alles schnell wieder vergessen und verbraucht wird, selbst von mir.

Heute eine nette Mail von Übermedien bekommen, dass sie wie aller guter Journalismus finanziert werden müssen. Nicht jeder will eine Handpuppe eines Wahnsinnigen mit viel Geld sein, sondern selbstständig und unabhängig durch einen Halt von Vielen. Ich habe also heute mir den Zugang für ein Jahr gesichert, mit einem Gastzugang, den ich einem jungen Kollegen zur Verfügung gestellt habe.

Morgen jährt sich zum ersten Mal der Todestag meiner langjährigen Freundin mit Fell, Nami.


Homeoffice

Neue Erfahrung, die keine Freude bringt. Homeoffice im Homeoffice. Im Keller habe ich meine Infostation eingerichtet, mit allem Pipapo. Schließlich bin ich seit Februar 1996 frei. Eigene Software und Geräte – selbständig eben. Aber wenn der kranke Mensch, der ein kranker Hund ist, zur Folge hat, dass man den Arbeitsplatz im Erdgeschoss, zwischen Matratzen und Töpfen einrichtet und die Ohren und Augen immer an der Ministerin hat, dann ist Konzentration nur das eine Problem. Es ist furchtbar, außer mal zur Not, an einem „laptopartigen“ Gebilde arbeiten zu müssen. Man teilt sich die Pflege. Aber man kann sich von den Sorgen nicht lösen. „Ich gehe dann mal in den Keller“ … und dann robotet man das weg, was im Erdgeschoss zigmal so lange dauerte und die Augen quält. Will ja nicht jammern, aber – siehe oben – Homeoffice im Homeoffice ist einfach Mist.

Namisphäre

Nami vor sieben Jahren. Mit Weh. Foto: MH
Nami vor sieben Jahren. Mit Weh. Foto: MH

Post von Born

Der Windvogel. Foto: MH
Der Windvogel. Foto: MH

Über den Wohnungen steigt ein Windvogel —
das Unglück ist nicht vollkommen.
Leben macht Spaß
wenn es Feinde hat
Leben geht weiter solange
es Geld einbringt.
Nahtlos geht in diesem Herbst
der Himmel über in die Ernte. Hartnäckig
setzt sich der Friede fort.
Verwundert ist niemand mehr.
Tod, um ihn zu erfassen, muß
dividiert werden durch Masse. Zahlen sind
ein musikalischer Faktor, erzeugen
Gemeinsinn.
Mit glattem Knall ist uns nicht gedient
uns wäre Gewinsel schon recht.

Nicolas Born, Gedichte 1967–1978, Reinbek bei Hamburg 1981, S. 35


Post von Wagner

„Das ist die Kunst, wie sie jetzt die ganze civilisirte Welt erfüllt! Ihr wirkliches Wesen ist die Industrie, ihr moralischer Zweck der Gelderwerb, ihr ästhetisches Vorgeben die Unterhaltung der Gelangweilten.“ (1849)

Der Windvogel. Foto: MH
Der Windvogel. Foto: MH

Anagramme

“Fahnen Irrtum” – ein Anagramm meines Namens.

Martin Knepper: “Zwei schöne Künstlernamen, aus Deinem Namen anagrammiert, sind Henri Turfman und Hermann Fruit.”

 

 

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