16. Mai 2024 Die Masse lebt

Adornos Butler

Ein paar Gedanken zum Adorno-Preis, den Adorno nie erhalten hätte, wenn denn die Kritiker der diesjährigen Preisträgerin sich durchsetzen würden.

Der Preis ist durch. Er hat Schaden hinterlassen. Der Streit um den diesjährigen Adorno-Preis ist ziemlich unlustig. Man muss den Eindruck gewinnen, dass wohl einfach wenig Information viel gestreut wurde. 

Der Aufstand des Generalsekretärs des Zentralrat der Juden in Deutschland bequemt sich aus Judith Butler einen philosophischen Dämon zu machen, weil diese irgendwann mal irgendwas zu Hamas und Hisbollah gesagt hat. Wie öde und wie uninteressant. Ich will nicht im Detail erklären müssen, dass zur Linken natürlich auch Gruppierungen hinzugerechnet werden können, die längst nicht “gut” sein müssen. Und nicht jeder sich Unterdrückt und Verfolgtfühlende ist selbst gewaltlos (in welcher Form auch immer). Nein, darüber kann man lange schwadronieren. Es führt nicht zu einem guten Ergebnis.

Was mich mehr wundert, ist, dass es sicher in Butlers Schriften einige Passagen zum Thema Judentum und Israel gibt. Beispielsweise in ihrer “Kritik der ethischen Gewalt” (den Adorno-Vorlesungen 2002).1Judith Butler, Kritik der ethischen Gewalt, Ffm 2007.  Dort beispielsweise auf den Seiten 126 bis 135 in einer Auseinandersetzung mit Lévinas. Ein Zufallsfund.2Ich finde, Butler ist wirklich nur schwer zu lesen. Es geht mir mit ihr wie damals mit Julia Kristeva. 

Ich meine, wenn man aber auch mal Adornos Texte genau liest, wäre er einer der letzten, der den Adorno-Preis verdient hätte. Vieles von dem, was Adorno in seinen Studien zum autoritären Charakter schreibt, scheint jedoch auch auf Butler übertragen werden zu können. Insbesondere all das, was er über den genuin Liberalen schreibt. 

“Ein hervorstechendes Merkmal ist Zivilcourage, die oft alle rationalen Bedenken hinter sich läßt. Sie können nicht ‘schweigen’, wenn Unrecht geschieht, auch wenn sie das ernsthaft in Gefahr bringt. … Wie der ‘Protestierende’ identifiziert er sich energisch mit dem Benachteiligten, doch ohne alle Zeichen von Zwang und Überkompensierung; er ist kein Philosemit.”3Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, Ffm 1982, S. 354).

Was mich in allem sehr wundert, ist die neue Positionierung der Religion in Sachen rationaler Auseinandersetzungen, so als ob die Politik offenbar abgedankt habe. Immer mehr Menschen entsichern ihre Religion als Waffe der Kommunikation. Kein Ahnung, mich beschleicht der Verdacht, es ist eine Folge des Endes des sogenannten Kalten Krieges. Der Leitunterschied des globalen Streits (wie immer konstruiert er war, so war er eben doch real), fällt weg, man benötigt andere Differenzierungen, um Macht auszudrücken und zu realisieren. Das tut nicht gut. 

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Fussnoten:

  • 1
    Judith Butler, Kritik der ethischen Gewalt, Ffm 2007.
  • 2
    Ich finde, Butler ist wirklich nur schwer zu lesen. Es geht mir mit ihr wie damals mit Julia Kristeva.
  • 3
    Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, Ffm 1982, S. 354).

3 Kommentare

  1. Der religiöse Streit, darüber

    Der religiöse Streit, darüber muss man sich immer im Klaren sein, ist kein religiöser. Es ist ein Streit der Religionsführer. Und das macht den Unterschied. Sie bruachen den Streit, um sich der Solidarität der Schafe zu versichern. Das ist sozusagen Politik in der Politik. Menschen werden gezwungen, hinter ihren Führern zu stehen. 

    Auch hier könnte man mit Adorno gehen und auf seine Kritk des Eides verweisen.

    Die Freiheit, die mit Dir gemeint ist, hat ihr Maß an dem Widerstand, den sie leistet; eins mit Festigkeit, unabdingbarer Treue ohne Eid. Nur Menschen mit starkem Ich, hast Du einmal gesagt, nur Freie also, können treu sein. [Band 20: Vermischte Schriften I/II: Max Horkheimer. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 17275 (vgl. GS 20.1, S. 163) http://www.digitale-bibliothek.de/band97.htm ]

    Mit Freiheit hat das alles nichts zu tun. Und man ist auf dem besten Weg in immer wieder erneuerte Unfreiheiten. Nicht freiweillig meistens. Sondern, wie Adorno an anderer Stelle vermerkt, mit “soldatischem Eid”.

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