7. Mai 2024 Die Masse lebt

Dauerbrüchiger Klassik-Journalismus / Philosophen-Tofu / Jazz 1916 /

Das Plärriefest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist durch. Die Petition hängt fest bei ca. Dreiundzwanzig- bis Vierundzwanzigtausend Mitzeichnerinnen. Die meisten aus München und Berlin Pankow. Trotz vereinter Pressekraft von Berliner Zeitung, Cicero, Tichy, Reitschuster, WELT, BILD, NZZ und Pipapo ist genau folgendes passiert?

Nix.

Manifeste in die Fresse

Es ist nicht nur der Schwurbelclub, der sich da bei den Erstunterzeichner:innen einfindet, der vielleicht nervt, es ist vor allem die Tatsache, dass man in diesem Manifest eigentlich gar keinen Plan vorlegt, wie denn dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk tatsächlich erneuert werden könnte, also welchen genauen politischen Schritte nötig wären, das umzusetzen, was man da möchte. Zum Beispiel, wie man ein Verbot von Werbung durchsetzen will und wie man dann mit weniger zur Verfügung stehenden Mitteln das Angebot sichern und erweitern will, gerade im Bereich der Spektrums „Kultur“? Man sagt nicht offen heraus, dass mit dem gewünschten Umbau auch eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags erfolgen müsste. Mehr (Meinungs-)Vielfalt mit immer weniger Finanzierungswolle im Hintergrund, wie soll das gehen?

Dass es mit der Meinungsvielfalt im ÖRR gerade nicht besonders gut steht, zeigen auch die letzten Narrationen von Georg Restle und Oliver Welke in Sachen Coronafolgen bei Schulschließungen, die verärgern, weil sie auf Dinge fokussieren, die in Sachen wissenschaftlicher Forschung völlig absurd sind (Ländervergleiche, Kontrollgruppen etc. – kurz: Korrelation und Kausalität wird wieder durcheinandergeworfen). Aber warum gehen die so plötzlich unter ihr Niveau? Warum macht das Showtalent Böhmermann eine Sendung zum Thema Zugluft?

Deshalb ist es gut, sich daran zu erinnern, dass der ÖRR eben keineswegs die neutrale Instanz, sondern selbst verflochten ist – was Publizistik von correctiv, Übermedien, Krautreporter, Volksverpetzer so unentbehrlich macht.

Klassik-Journale Online

Aber auch ein neues Magazin in Sachen „Klassische Musik“: backstageclassical.com. Axel Brüggemann hat im Zusammenhang mit seinem Interview zu diesem Magazin im Deutschlandfunk Kultur darauf hingewiesen, dass man beispielsweise in Sachen Aufklärung zu T. Currentzis eher nicht halbwegs klärende Worte vom SWR erwarten dürfe.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit und der Unabhängigkeit

Unklar ist allerdings, wer bei diesem Portal die finanziellen Hände im Spiel hat und wer alles dahintersteckt außer Axel Brüggemann, der im Impressum allein geführt wird. Die redaktionelle Kontur ist undurchsichtig, was mit dem Spendengeld gemacht wird, ebenso. Im Interview sagt er zwar, dass diese Spendengeld in Autorinnen-Honorare umgelegt wird, aber auf der Website findet sich nichts.

Der brüchige Klassik-Journalismus-Markt

Ich bewundere den Mut, dass Axel Brüggemann vermutet, dass es ein (zahlendes) Publikum für so ein Online-Journal gibt, bin selbst aber davon überzeugt, dass dieser Schritt immer noch ein paar Jahre zu früh kommt – oder vielleicht auch nie. Das Musikmagazin „Van“ ist endlich auch so ein Beispiel, wo man nicht weiß, wo es stünde, wenn dahinter nicht auch eine Bank und privates Vermögen das Vorhaben absicherten. Und so verwundert es auch, dass gerade Axel Brüggemann so viel Hoffnung auf diesem Markt sieht, bei dem schon viele Projekte ähnlicher Art eingestellt worden sind. Die WELT baut auf und lässt fallen. In den Nuller-Jahren Axel Brüggemanns „Lauschangriff“ (WELT am Sonntag) oder später „Manuel Brugs Klassiker“ (2015-2020). Zitat:

„Klassik mag keine Millionenklicks generieren, aber nach wie vor sind mehr Besucher in den deutschen Theater- und Opernhäusern zu finden als in den Bundesliga-Arenen. … Es ist kein Zufall, dass ich heute als erster Musikjournalist einer der großen deutschen Tageszeitungen mit diesem Blog starte.“

Da hatte er eben Axel Brüggemann aus dem eigenen Hause auch nicht auf dem Schirm. Dazu las man 2005 auf der Seite Welt unter der Überschrift: Klassik im Netz – so geht es.

-Seit vier Monaten hat die “Welt am Sonntag” auch einen eigenen Klassik-Blog. Der Musikredakteur Axel Brüggemann schreibt hier täglich über seine Begegnungen mit Stars der Musik, über aktuelle Premieren und Themen aus der Klassik-Welt. Außerdem melden sich im “Lauschangriff” Regisseure, Dirigenten und Sänger zu Wort. Das Blog ist zu einer der größten Meinungsbörsen der Klassik in Deutschland geworden. Und so erreichen Sie den “Lauschangriff”: Besuchen Sie die Homepage der “Welt am Sonntag” ( www.wams.de ) und klicken Sie auf den Link “Lauschangriff”. Sie können jeden Bericht kommentieren und dadurch aktiv in das Blog eingreifen.

Und was genau mit Klassik am Sonntag passiert ist? Im gleichen Text.

-Die neue Klassik-Beilage der “Welt am Sonntag” erreichen Sie ganz einfach über das Internet. Geben Sie nur die Adresse www.wams.de/klassik ein, und Sie gelangen direkt auf die Homepage der “Klassik am Sonntag”. Klicken Sie auf die Titelseite, und auf Ihrem Bildschirm erscheinen 16 Seiten über klassische Musik: Rezensionen, Interviews, Essays und Kommentare. Zum Lesen am Computer oder zum Ausdrucken für zu Hause. All das ist natürlich kostenlos.

Oder mit dem zunächst von Rondo betreuten Blog niusic? Oder dem Blog des Van-Magazins? Viele sind gekommen und dann wieder gegangen. Das ist auch ganz normal. Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, warum man zu der Einsicht kommt, dass man wirklich sein potenzielles (zahlendes) Publikum erreichen könne. Und warum es partout nicht klappt!

Brüggemann hat in dem Interview ja einen wunden Punkt getroffen. Die Veranstalter selbst investieren in ihre Öffentlichkeitsarbeit mit Blicken nach Backstage und bespielen die sozialen Medien mehr oder minder geschickt. Die wirken in der Region oder haben ein Renommee, welches kraft Geschichte wirkt (Bayreuth, Salzburg etc.). Brauchen die wirklich einen Musikjournalismus im Bereich Klassik? Oder Pop? Oder Jazz? – Überall sind doch die gleichen Verfallserscheinungen zu beobachten. Dabei ist es keine Klassik-Krise oder Pop-Krise oder Jazz-Krise. Sondern allein eine Krise ihrer öffentlichen Kritik. Und die dauert an. Weil auch die Special-Interests von Initiativen mit öffentlicher Föderung selbst in die Hand genommen werden. Während man in den Nuller-Jahren noch Teams engagierte, die Video-Drehs für Veranstalter machten, machen die es jetzt selbst. Jedes Festival produziert künstlerisch hochwertige Vorschauen in Broschüren oder auf Websites. Fast alles Dinge, für die man früher externe Dienstleisterinnen beauftragen musste.

Da erstaunt es dagegen, dass beispielsweise das Bad Blog Of Musick seit 2009 kontinuierlich informiert, kritisiert, auf die Schippe nimmt, analysiert und kommentiert. Einzelne Informationsdienste laufen auch zumindest wohl so, dass sie Menschen erreichen. Axel Brüggemanns Newsletter (bisher unter der Obhut von crescendo) gehört sicher auch dazu. Er lebt sowohl vom Mut des Autors und von den Widersprüchen und Zustimmungen, die er hervorruft.

Was wird aus Albrechts Selges Konzertgänger Hundert 11, den er bis vor einiger Zeit selbst verwaltet hat, seit er unter dem Dach von Van einen neuen Unterschlupf gefunden hat (mit PayWall).

(fortzusetzen …)

Maria Kalesnikava

Wichtig daher auch, wenn erinnert wird, in welcher glücklichen Suppe wir hier vor Ort leben. Christine Fischer erinnert auf Facebook anläßlich ihres Geburtstags an Maria Kalesnikava:

Heute ist der Geburtstag von Maria Kalesnikava, unserer Freundin und Kollegin. Seit über dreieinhalb Jahren ist sie in Gefangenschaft, seit weit über einem Jahr hat ihre Familie keinen Kontakt zu ihr, keine Informationen, wie es ihr geht. Seit dem Sommer 2020 unterstützen wir zahlreiche belarusische Künstlerinnen und Künstler und versuchen, Marias Arbeit fortzusetzen, die sie 2018 begonnen hat: die Förderung zeitgenössischer Musik in Belarus. Wir denken an sie und über 1.500 politische Gefangene in Belarus.

Jazz in Zeiten den Diebstahls (1916)

Aus der aktuellen JazzZeitung (2012) — In einer Buchbesprechung von Joe Viera liest man:

„1916 hätte die Creole Band übrigens Aufnahmen in New York für VICTOR machen können, aber der Kornettist Freddie Keppard lehnte dies ab („We won’t put our stuff on records for everybody to steal“) und überzeugte damit leider auch die übrigen Musiker. Es wären die ersten Jazzaufnahmen gewesen!“

Some old Pictures

Some other old Pictures

 

 

 

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