6. Mai 2024 Die Masse lebt

Baudrillard: Ende der Kunst – Nutzlosigkeit

Es gab wahrscheinlich noch nie so viel Ausdruck wie zur Zeit. Im Prinzip, ja Prinzip, drücken natürlich alle zu jeder Zeit immer etwas aus. Die Dinge sowieso, aber die Menschen in ihrer Existenz auch. Jeder Mensch ist eine Künstler, auch ohne es zu wollen. Jeder Mensch kann vom anderen als Künstler wahrgenommen werden. Noch die ganz bestimmt nicht als Kunst gemeinte Äußerung. Und sei es, dass sie sich im unsinnigen Satz äußert, etwas sei (un-)ästhetisch – oder etwas sei (un-)ästhetischer als etwas anderes. An der Kunst kommt man nicht vorbei.

Aber an der Kunst kommt selbst die Kunst nicht mehr vorbei. Und das gesamte Kunstsystem.

“So florieren die Kunst, der Kunstmarkt nach dem Maß ihres Niedergangs. Sie sind die modernen Beinhäuser der Kultur …” (Jean Baudrillard: Die Intelligenz des Bösen, Wien 2010, S. 98.)

Denn alles dreht sich um sich selbst. Die Vervielfachung der Kunst findet jedoch kein Publikum mehr.

“Sender und Empfänger vermischen sich in der gleichen Schleife: alles sind Sender, alle Empfänger. Jedes Subjekt interagiert mit sich selbst und ist dazu verurteilt, sich auszudrücken – ohne noch die Zeit zu haben, den anderen zu hören.

Das Net und die Netzwerke vervielfachen diese Möglichkeit, in einem geschlossenen Schaltkreis an sich selbst zu senden, deutlich; allen geht es um die virtuelle Performanz, und jeder trägt so zu allgemeinen Asphyxie bei.” (Jean Baudrillard: Die Intelligenz des Bösen, Wien 2010, S. 94 f.)

Da kann man sich dann schon fragen, wo ist das Problem mit dem Publikum. Das Problem bleibt nämlich trotzdem. Die Vervielfachung ist nämlich nicht total. Das täuscht die Anzahl der Kanäle des Fernsehens und des Internets drüber hinweg. So wenig diese Kanäle den Kanal sättigen, so wenig sättigen sie sich, selbst wenn man genügend selbst produziert. Baudrillard hat soweit nämlich nicht Recht. Auch wenn jeder Ausdruck erzeugt, bleibt damit die Wahrnehmung des Ausdrucks hinter seiner Menge zurück. Im Produzentenbereich gleichwohl stimmt es: Instagram und Flickr bezeugen es genau so sehr wie Twitter (weniger jedoch Facebook oder YouTube).

Entfesselung der Insouveränität

Da ist man nicht unbedingt bei der Sorte Netz-Pessimismus, obwohl es schon nahe liegt. Heute nicht anders als früher, wo immer gesagt wurde, dass der Kapitalismus eigentlich ja nicht gehe und darum dem Ende geweiht ist, nur eben umgekehrt, wo man das “Potential” des Netzes sieht und dann von der Realität immer wieder nur enttäuscht wird. Das Netz wird zu Entfesselung der Insouveränität.

Allen gemein: Man kann an sich selbst senden – sogar vorzugsweise und unfreiwillig. Auch so ein Eintrag hier pingt am Ende im Kreis. Die Sinnhaftigkeit der Nutzlosigkeit.

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2 Kommentare

  1. @Martin: Ach ja, Baudrillard … seinem “Totengräber-Zynismus” (O. Wiener) war kaum je zu widersprechen – und genau das macht mich so misstrauisch ihm gegenüber. Das Problem ist: seinen zivilisationsmüden und oft “gefühlt richtigen” Analysen folgt man immer gerne und begierig – aber seine kruden Schlussfolgerungen (die ich nicht im Detail verstehe, sie scheinen aber auf eine Art quasi-religiöse Apokalyptik hinauszulaufen) ignoriert man dabei gerne geflissentlich.

    Das ist ein bisschen so, wie rechtspopulistischer Kritik an “zuviel erstickender politischer Korrektheit und Multikulti-Relativismus” recht zu geben, ohne den nächsten logischen Schritt, nämlich den Glauben an die tatsächliche Existenz einer white supremacy (Überlegenheit einer “weißen Rasse” über alle anderen), wirklich zu machen.

    Meiner Meinung nach führt Baudrillards Gedankengebäude als Ganzes in die Irre, so treffend und – auf mitunter quälende Weise – unterhaltsam seine Beschreibungen soziokulturellen Elends auch sein mögen.

    1. Ich bin mir da nicht so sicher. Es gab eine Zeit um 2000 herum, wo ich seine Texte, die ich schon besaß, in den Müll werfen wollte (vor allem den Schwarzdruck von “Der symbolische Tausch und der Tod”). Fand ich alles Humbug. Mittlerweile glaube ich eher, er denkt die Dinge nur bis an ihr schwarzes Ende. Das ist gewiss auch durchschaubar und bringt an sich eher nichts. Außer miese Laune. Und belegen lässt sich sowieso nie etwas. Aber das spielt kaum eine Rolle. Lothar Baier hat einmal einen Satz J.B.s so kommentiert:

      Je informierter wir sind, desto dümmer, abergläubischer, unzurechnungsfähiger werden wir. Im Zentrum der Information ist es heute schon so weit: Unter den Beschäftigten des großen franzöischen Computerunternehmens Comapgnie Générale de l’information sind die Anhänger der Rosenkreuzersekte stärker vertreten als die Gewerschaftsmitglieder. // Doch kaum hat man Baudrillard als Verbündeten der eigenen Kulturkritik begrüßt, hat er sich auch schon wieder aus dem Staub gemacht und ist an einer ganz anderen Ecke aufgetaucht (…) Nicht zu viel Futurismus, sondern viel zu wenig Futurismus steht auf der Anklageliste. [Lothar Baier, Zeichen & Wunder, Berlin 1988, S. 156 – Analyse des Textes “Die göttliche Linke” und dem Titel: “Der Schwindel der Simulation. Versuch, Jean Baudrillard auf der Spur zu bleiben”]

      Aber das ja nur nebenbei. Sätze wie “Jedes Subjekt interagiert mit sich selbst und ist dazu verurteilt, sich auszudrücken – ohne noch die Zeit zu haben, den anderen zu hören” findet man auch bei späten Deleuze. Die Sache ist ja doch seltsam. Und ich könnte jetzt einen Versuch anschließen, der zeigt, wie in Hinsicht Validität der Information zum Beispiel die AfD diametral zum Beispiel zur Wikipedia steht – und beide doch zugleich im Abseits des Vertrauens, was sie ja aber nur noch attraktiver macht. Die totale Wikipedia würde am Ende nur zeigen, dass alles, aber wirklich alles nur aus verschiedenen Fehlern besteht. Und die AfD zum Beispiel, dass sie Verdummung als Kern ihrer Wahrheit sehen (andere Parteien übrigens auch zunehmend und mit grundsätzlicher Strukturnorm).

      Aber das übersteigt gerade mein Zeitfenster.

      Und wenn man den Kunstmarkt ernsthaft untersuchen würde, würde man präzise sehen, dass Jean Baudrillard richtig liegt; nur im Ergebnis dann wieder nicht 🙂

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