8. Mai 2024 Die Masse lebt

Gast, Kunde, Übel [Kulturinvest 2017]

Der Tagesspiegel berichtet von einer Veranstaltung, die er mitorganisiert und schreibt über einen Vortrag von H.C. Brinker, bzw. zitiert ihn sinngemäß:

“Der Gast, erklärt Henry C. Brinker, werde in der Met nicht als nötiges Übel angesehen, sondern als Kunde.” [Quelle: Tagesspiegel Online, Kongress Kulturinvest – Am digitalen Lagerfeuer]

Mit Met ist die Metropolitan Opera gemeint. Als Nagtivbeispiel erwähnt er die Pariser Philharmonie.

Was daran so erstaunlich ist? Die Sprache der Kulturverwaltung, die offenbar den Gast eben als Übel oder als Kunden sieht. Aber offenbar in jedem Fall nicht als Gast! Beziehungsweise ist eine Transformation zu leisten, die aus einem Gast den Kunden macht.

Natürlich hat Adorno diesen “Prozess” schon vor einiger Zeit kritisiert: “Der Kunde ist nicht, wie die Kulturindustrie glauben machen möchte, König, nicht ihr Subjekt, sondern ihr Objekt.” 1Band 10: Kulturkritik und Gesellschaft I/II: Résumé über Kulturindustrie. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 7949 (vgl. GS 10.1, S. 337)  Und natürlich ist vorstellbar, dass Brinker dies nicht einmal in Abrede stellen würde. Sondern das als de-facto-Situation annehmen würde. Ein Zweifel an der Notwendigkeit, dies unter den aktuellen Bedingungen nicht so zu sehen, dürfte man sich wohl als Weltblindheit vorhalten lassen.

Aber will man dies im Kultursektor wirklich machen? Alle zu Kunden, zu Genuss- und Hörkunden? Empfindungskunden, denen man das Übel erspart. Well- und Happyness, reines Bedienen von Bedürfnissen nach Wasser, akustischen Reizen und Gelehrtheit? Etc.

Den Gast nur als Konglomerat von Funktionen zu sehen, nicht aber als Gast, den man einlädt, dem man seine Ehre und Freundschaft erweist, scheint mir nicht ein Weg in die Zukunft der Kultur sondern in ihre Abschaffung in ein Gut der Wirtschaft. Umgekehrt wäre Brinkers Satz jedenfalls freundlicher: “Der Kunde wird nicht als notwendiges Übel, sondern als Gast gesehen.” Das freilich hätte dann weniger mit BWL sondern mit menschlichen Reflexen und Reflexionen zu tun. Und eben mit einem Verständnis von Kultur, das sich nicht primär und auch nicht sekundär am Marktgeschehen ausrichtet.


Begriffe nach Wikipedia:

Ein Kunde (englisch customer, client) ist allgemein in der Wirtschaft und speziell im Marketing eine Person, ein Unternehmen oder eine Organisation (Wirtschaftssubjekt), das als Nachfrager ein Geschäft mit einer Gegenpartei abschließt. Ein solches Geschäft ist beispielsweise ein Kauf, eine Miete oder ein Leasing, eine Dienstleistung oder ein Werk. Meist zahlt der Kunde dafür Geld. Die Leistung kann aber auch unentgeltlich oder in Form eines gegenseitigen Tauschgeschäftes erfolgen. [Quelle: Stichwort Kunde]

Das Wort Gast bezeichnet heute einen zum Bleiben eingeladenen Besucher. Ebenso wie die mit ihm etymologisch verwandten Begriffe in anderen germanischen (althochdeutsch/mittelhochdeutsch/altsächsisch gast, gotisch gasts, altnordisch gestr, altenglisch giest und altfriesisch jest), slawischen (kirchenslawisch gostĭ) und romanischen Sprachen (lateinisch hostis, hospes) bedeutete es ursprünglich ‚Fremdling‘. Einerseits hatte man dem Fremden Gastrecht zu gewähren, andererseits konnte er in feindlicher Absicht nahen. [Quelle: Stichwort Gast]

Das Übel (ahd.: abel, ibel, ubil) ist in der Philosophie ein Begriff, der alles bezeichnet, was dem Guten entgegengesetzt ist. Es ist vom Bösen zu unterscheiden, mit dem es häufig verwechselt wird. Übel ist der allgemeinere Begriff, der das Böse umfasst. Alles Böse gehört zum Übel, aber nicht jedes Übel gehört zum Bösen. [Quelle: Stichwort Das Übel]

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Fussnoten:

  • 1
    Band 10: Kulturkritik und Gesellschaft I/II: Résumé über Kulturindustrie. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 7949 (vgl. GS 10.1, S. 337)