2. Dezember 2024 Alles muss raus!

Baustellen: Jazz im Radio – Kürzungen bei den Bundeskulturfonds – Jahressteuergesetz und Bildung

„Im Herbst 2023 hat die ARD ihre Pläne zur Rundfunkreform vorgestellt. Seitdem ist klar, dass nach dem aktuell stattfindenden ARD Radiofestival die Abendstrecken der Kulturwellen zusammengelegt werden.“ Das schreibt die Deutsche Jazzunion und hat Befürchtungen, dass das Angebot an Jazzsendungen im Radio nach dieser Zeit zusammengeschrumpft wird. So wird es nämlich kommen. Der gesamte Prozess lief unter der Hand, genauer gesagt ohne alle würdige Beteiligung von Redaktionen und der Szene selbst. Ihre Forderungen liest man gleicher Stelle. Zusammen mit Stellungnahmen einzelner Jazzmusiker:innen. (Es wäre schön, wenn man diese Statements  für eine weitere Verbreitung auch teilen könnte.)

Jazz im Radio Rettungsmission

Was bei der Gelegenheit auffällt: Während die Jazzszene recht aktiv am Ball ist und sich bemerkbar macht, ist es im Bereich der sogenannten Neuen und der experimentellen Musik vergleichsweise still. Entweder wird da etwas vorbereitet, oder man hat die Sache schon gleich aufgegeben. Betroffen wären ja nicht nur die Komponist:innen, sondern auch Verleger:innen der Werke, die gespielt werden, oder eben nicht. Denn dass der Schrumpfungsprozess an der E-Musik-Szene vorbeiginge, dürfte wohl kaum der Fall sein.

Natürlich gibt es journalistische Analyse wie die von Rainer Nonnenmann in der nmz (Apokalypse Now) oder Reihe von Arno Lücker zur Abschaffung des Kulturradios im Bad Blog Of Musick. Auch wird stellenweise das Thema angefasst wie von Moritz Eggert oder dem Deutschen Komponist:innenverband. Natürlich hat auch der Deutsche Musikrat das Gesamtproblem auf dem Schirm. Aber was passiert vor, in oder hinter den Kulissen wirklich?

Ergebnis: unbekannt. Das ist ungut.


Ungemach mit Steuern

Die Netze füllen sich mit Wehklagen zum Jahressteuergesetz. Das sieht „eine Änderung des § 4 Nr. 21 a) bb) UstG mit weitreichenden Folgen vor: Anstelle der bisher üblichen Praxis der Erteilung einer Bescheinigung an potenziell alle musikpädagogisch Tätigen und Institutionen sollen nur noch öffentliche und gemeinnützige Institutionen von der Umsatzsteuer befreit werden.“ Aktuell steigen die Anzahl derer, die sich dagegen zur Wehr setzen, in dem sie beispielsweise ihre Bundestagsabgeordneten ihres Wahlkreises anschreiben, dies zu verhindern. „Die regierenden Parteien haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, an der Steuerfreiheit von Bildungsleistungen im unionsrechtlichen Rahmen festzuhalten.“ (Deutscher Musikrat) Daran sollte man den Finanzminister massiv erinnern und die Ausschussmitglieder auch, die darüber beraten: „Der Deutsche Musikrat appelliert an die Mitglieder des Finanzausschusses im Bundestag, im Interesse des Bildungsstandorts Deutschland diese unnötigen Verschärfungen zu vermeiden und die Praxis des Verwaltungsverfahrens auf Erteilung einer Bescheinigung gem. § 4 Nr. 21 a) bb) UstG zu erhalten.“


Ungemach im Kürzungen bei den Bundeskulturfonds

Eine Petition, die sich gegen die geplanten Kürzungen bei den sechs Bundeskulturfonds wendet, hat Heinrich Horwitz gestartet und binnen eines Tages bereits über 1500 Unterschriften gesammelt. Zu den Erstunterzeichner gehören: Andreas Dorau (Musiker), Gregor Hotz (Geschäftsführer Musikfonds), Jan Werner (Mouse on Mars) und Eloain Lovis Hübner (Komposition, Musiktheater, Kuration). Das ist fast ein bisschen mickrig. Auch hier die Frage: Machen die Kultur-Institutionen gerade Sommerpause?

Immerhin hat ON – Netzwerk Neue Musik Köln auf die Lage in ihrem Newsletter hingewiesen. Ich zitiere das im Ganzen. Es ist sonst schwer auffindbar im Web.

Liebe Freund:innen von ON,

vor etwas mehr als einem Monat standen wir mit Vertreter:innen aller Sparten der freien Szene vor dem Kölner Rathaus, um gegen die abzusehenden Kürzungen im Kulturetat für die freie Szene zu demonstrieren. Bekenntnisse seitens der Stadt, der freien Szene auch im kommenden Haushalt Mittel in einer Höhe zuzusichern, die die Vielfalt der freien Szene in Köln sicherstellt und die wachsenden Ausgaben abbildet, die durch steigende Energiekosten, Inflation oder Honoraruntergrenzen entstehen, sind bisher ausgeblieben. Stattdessen erreichten die Szene weitere schlechte Nachrichten: die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien will im kommenden Haushalt die Mittel für die Bundeskulturfonds, zu denen auch der Musikfonds gehört, um fast die Hälfte kürzen. Damit würden Kürzungen der Förderprogramme einhergehen, die die freie Szene empfindlich treffen würden, wie die Sprecherin der AG Bundeskulturfonds Karin Lingl im Interview in Aussicht stellt.

Gleichzeitig ist es die freie Szene, die in Köln 60% und damit einen Großteil des Kulturprogramms auf die Beine stellt und damit Köln zu der Kulturmetropole macht, für die wir bekannt sind. Es ist die freie Szene, die dem wachsenden Zuspruch zu rechten Positionen eine Vielfalt der Ausdrucksformen entgegenstellt, und die in künstlerisch-wissenschaftlicher Forschung, (Science-)Fiktionen oder anderen Formen einen Diskursraum für die Prozesse schafft, die unsere Gesellschaft jetzt und in Zukunft maßgeblich verändern.

Diese wichtige Arbeit darf nicht noch weiter in die Prekarität verschoben werden. Daher: setzt Euch ein für die Vielfalt der Freien Szene! Das müsst Ihr nicht alleine machen. Schließt Euch den Demonstrationen an, die spätestens im Frühherbst weitergehen werden. Oder noch besser: tretet doch direkt den Netzwerken bei, die aktuell zu den Protesten mobilisieren – wie zum Beispiel das KulturNetz Köln.

PS: Ich merke gerade, wie sehr mich diese ganzen animierten Websites von ON und dem Deutschen Musikrat abnerven. Gebt mir einen ruhigen Bildschirm zurück. Bitte.


Uhren

uhren, die verkehrt herum gehen, ticken auch nicht anders


PAUSE


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3 Kommentare

  1. Die Sache mit der Umsatzsteuerbefreiung für Musikpädagogen ist etwas komplizierter. So weit ich es verstanden habe, geht es darum:

    Die Umsatzsteuerbefreiung für den Musikunterricht im Ramen der “Ausbildung” (d.h. Vorbereitung für die Hochschulaufnahmeprüfung) soll bleiben, aber nicht für den Unterricht als “Freizeitbeschäftigung”, es sei denn es ist eine kommunale oder gemeinschützige Musikschule (alle anderen fallen unter der Kategorie “gewinnorientierte” Dienstleistung, auch die freien soloselbständigen Lehrer, die eben nicht mehr verdienen als wenn sie bei einer kommunalen Musikschule angestellt wären).
    In Zeiten, wo man Breitenmusik und Amateuermusik als Kultur fördern will (zumal immer weniger junge Menschen Musik studieren wollen, auch aufgrund der prekären Berufssituation), mehr Menschen in Konzerte und Theateraufführugnen locken will (Kultur als Teil der Demokratie), macht es keinen Sinn, gerade die Voraussetzung (Bildung) für die aktiven Teilnahme als Freizeitbeschäftigung umsatzpflichtig zu machen.
    Auch ist es unfair, soloselbständige Musiklehrer, die quasi nur den Lebensunterhalt durch den Unterricht verdienen, zusammen mit großen, tatsächlich auf Gewinn orientierte Weiterbildungsketten in einen Topf zu werfen, nur weil diese steuertechnisch als Unternehmen das Honorar von Schülern (=Kunden) einnehmen.
    Bisher gab es für Bescheinigung für freie Pädagogen (“Privatunterricht”) und freie Musikschulen vom Kultusministerium. Diese Prüfung soll in Zukunft entfallen, und die Finanzamt soll alleine entscheiden, welcher Unterricht qualifiziert genug ist, um als “für Ausbildung geeigent” anerkannt zu werden.
    Es hilft den Schülern nicht, wenn Lehrer diese zu Aufnahmeprüfungen drängen müssten, nur damit der Unterricht bezahlbar bleibt. Insbesondere wenn die Schüler auch noch weitere Talente haben, mit denen sie später angesehene Berufe mit gutem Einkommen ergreifen könnten. Es hilft den Schülern auch nicht, wenn Lehrer unter sich in Konkurrenz treten, um die besten, fleißigsten, begabtesten Schüler zu ergattern.
    Es wird schwierig sein, nach dem Inflationsausgleich gleich noch mal eine Honorarerhöhung wegen Umsatzsteuer durchzuziehen. Es gibt realistisch gesehen eine Grenze, was die Eltern bereit sind, für den Musikunterricht zu zahlen. Praktisch heißt es, dass der soloselbständige Lehrer die Umsatzsteuer nicht an Schüler weitergeben kann, sondern weniger Netto hat.
    Viele Soloselbständigen sind mit der Unterrichttätigkeit mit dem Gesamteinkommen knapp über der Kleinunternehmergrenze. Mit Umsatzsteuerbefreiung kann man davon leben. Wenn man Umsatzsteuer zahlen müsste, hätte man mehr Netto, wenn man die Schülerzahl reduzieren würde, um unter der Kleinunternehmergrenze zu bleiben. Damit ist aber Prekärität garantiert.
    Wenn man als Soloselbständiger mit dem Unterricht aus der Kleinunternehmerregelung rausfällt, weil die Umsatzsteuerbefreiung für den Unterricht wegfällt, werden die Muggen auch umsatzsteuerpflichtig (sofern diese nicht unter der Künstler-Umsatzsteuerbefreiung fällt, was nur bei bestimmten Konzerten und Veranstaltern möglich ist).

    1. Friederike Haufe auf Facebook macht den folgenden Vorschlag

      Ich mache mir große Sorgen um meine berufliche Zukunft, aber auch um die aller Kolleg:innen:

      Nach der Sommerpause trifft sich der Bundestag zur Verabschiedung neuer Steuergesetze, und die Änderungen im §4,21 kann uns allen richtig Existenzsorgen machen.
      Ich habe daher die drei Abgeordneten meines Bezirks angeschrieben, wer das ist, das findet ihr hier ganz leicht: https://www.bundestag.de/abgeordnete

      Danach kann man dann die Namen googeln, einige habe ihre Kontaktdaten offen im Netz, andere lieber verschlüsselt, wieder über die Bundestagsseite mit Kontaktformular. Poppt aber direkt auf! Ich habe dann das Folgende geschrieben, und ich glaube, wir und auch die Eltern unserer Schüler:innen sollten das oder Ähnliches sehr zahlreich tun… :

      Liebe:r Bundestagsabgeordnete, als Instrumentalpädagog:in mache ich mir große Sorgen, wegen der drohenden Umsatzsteuer. Ich kann sie nicht anstelle meiner Schüler:innen übernehmen, habe aber Angst, meine Klientel zu verlieren, sollte es plötzlich eine Preissteigerung von 19% geben müssen. Ein Blick auf die Durchschnittseinkommen der Künstlersozialkasse zeigt, dass es noch schwerer werden würde, davon zu leben:

      Und da gibt es ohnehin das Dilemma in unserer Preisgestaltung:

      Freie Musiklehrerinnen und Musiklehrer erhalten keine staatlichen oder kommunalen Subventionen. Sie sind Unternehmerinnen und Unternehmer, die für ihre wirtschaftliche Sicherheit selbst verantwortlich sind. Aber sie können keine Stundensätze erheben, die mit denen von Rechtsanwälte:innen oder Architekt:innen u.ä. vergleichbar sind, weil sie wissen, dass sie den Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Kinder- und Jugendbildung erfolgreich zu bewältigen haben. Und es ist ihnen ein Herzensanliegen und sie sehen die Notwendigkeit als gesellschaftlichen Auftrag, Kinder und Jugendliche zu bilden. Darauf darf es auch zukünftig keine Umsatzsteuer geben. Das würde die Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen verhindern, und das wäre schrecklich! Bitte stimmen Sie gegen den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zu Paragraph 4 Nummer 21. ich rechne auf Sie… MfG etc…

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